Wird das Blutpferd im Deckeinsatz benachteiligt?

Manch ein Freund von Vollblütern sieht in der deutschen Sportpferdezucht eine systematische Benachteiligung von Blutpferd und Vielseitigkeitspferd. Es wird immer wieder die Kritik laut, blutgeprägte Hengste müssten bei Körung und Hengstleistungsprüfung bessere Chancen erhalten.

Richtig ist sicher, dass das moderne Körsystem mit seiner zunehmenden Spezialisierung keine Rücksicht auf doppelveranlagte Pferde nimmt. Wer nicht in einer von beiden Sparten auf Top-Niveau mithalten kann, geht unter.

Ein prominentes Beispiel dafür ist Sam, der unter Michael Jung in der Vielseitigkeit alle Titel vom Europameister bis Olympiagold abräumte. Was viele nicht wissen: Als Junghengst wurde er nicht gekört und war auf der nachfolgenden Auktion günstig zu kaufen.

Gegner dieses Körsystems bemängeln, dass mit diesen Entscheidungen Doppelveranlagung bei Sportpferden und das Blutpferd an sich systematisch ausgemerzt wird. Man spricht von einer systematischen Benachteiligung von blutgeprägten Hengsten, die keine Chance hätten, den Ansprüchen der Körkommission zu genügen und in den Deckeinsatz zu gelangen.

Ansprüche absenken

Inhalt

Wenn die Anforderungen durch die Teilnehmer nicht mehr erfüllt werden, wird oftmals nicht das Training überdacht, sondern die Ansprüche heruntergeschraubt. (Nicht nur) Im Reitsportsektor gibt es viele Beispiele dafür, dass die Voraussetzungen abgesenkt werden, statt die Leistung der Betroffenen anzuheben.

Man denke an:

  • Die Quote der bestehenden Prüflinge bei der Ausbildung zum Pferdewirt,
  • die Erhöhung der Anzahl der „Motivations“-Reitabzeichen der FN,
  • die Abschaffung des Gehorsamssprunges in der Dressurprüfung,
  • die Abschaffung der Ehrenrunden auf Championaten,
  • die Formatänderung in der Vielseitigkeit (wobei hier immerhin Tierschutzgründe angeführt wurden).

Wer mich kennt, der weiß, dass ich nicht stumpf an Traditionen festhalte, nur weil das immer schon so war. Nichts ist so beständig wie der Wandel. Aber den Anspruch für blutgeprägte Pferde herunter zu schrauben, damit sie mithalten können, halte ich für einen großen Fehler. 

Die zugrunde liegende Idee der Chancengleichheit

Ich habe durchaus verstanden, worum es den Verantwortlichen geht. Eine innere Differenzierung ist eine Idee, die Chancengleichheit gewährleisten soll, trotz unterschiedlicher Voraussetzungen der Teilnehmer.

In der Pädagogik ist dies eine Methode, um wenig homogene Gruppen individuell zu fördern. Man bezeichnet damit abgestufte Aufgaben für Personengruppen, denen man die Teilnahme an einer (Lehr-)Veranstaltung ermöglichen möchte.

Das ist grundsätzlich löblich und in der Schule macht so ein Ansatz im Sinne der Inklusion meinetwegen noch Sinn.

Allerdings hat dieses Vorgehen auch zur Folge, dass man automatisch die Ansprüche an die spezielle Gruppe herunterschraubt und sie damit „stigmatisiert“. Denn man geht von vorneherein davon aus, sie könnten nicht auf natürlichem Wege dieselbe Leistung erbringen. Damit beraubt man sie aber auch einer Chance das Gegenteil zu beweisen.

In der Pferdezucht tue ich mich daher sehr schwer mit diesem Ansatz. Denn bei einer züchterischen Selektion nach Leistung gilt das Prinzip der Bestenauslese. Man sollte allenfalls darüber nachdenken, ob die abgefragten Indikatoren wirklich Sportleistung in ausreichendem Maße prognostizieren. Wenn sie das aber tun, ist eine Minderung der Zugangsvoraussetzung nicht zielführend.

Ist das wirklich der Weg nach vorne?

Ich habe trotz aller Begeisterung für das Blutpferd meine Zweifel an solch einem Ansatz. Man kann darüber diskutieren, ob es sich lohnt, Vielfalt in Blutlinien erhalten zu wollen. Ebenso kann man argumentieren, dass der Schaden, den eine Handvoll zusätzlicher gekörter Hengste darstellt, minimal ist. Bei den Bedeckungszahlen, die ein blutgeprägter Hengst im Mittel zu erwarten hat, ist der potentielle Schaden für die Pferdepopulation insgesamt überschaubar. Dieser Schaden wird darüber hinaus in finanzieller Hinsicht gänzlich von dem Züchter getragen, der seiner Leidenschaft für Blutpferde nachgeht.

Allerdings muss man sich auch die umgekehrte Frage gefallen lassen:

Was nutzt ein gekörter Hengst, der keine Chance auf flächendeckende Anerkennung seiner Fähigkeiten hat?

Bei aller Akzeptanz des Wunsches nach Anerkennung der eigenen Zuchtprodukte. Was nutzt es einen Hengst kören zu lassen, der keine Chance auf halbwegs rentable Bedeckungszahlen hat? Die meisten Hengsthalter rechnen über den Daumen gepeilt mit ca. 20-40 Stuten pro Jahr, die ein Hengst braucht, damit es sich lohnt, ihn in der Besamung aufzustellen.

Wie könnte man erreichen, dass blutgeprägte Hengste dennoch eine Chance auf eine erfolgreiche Körung und Hengstleistungsprüfung haben?

Was ich bislang als Gedankenspiel betrieben habe, ist zu meinem Erstaunen bereits Realität geworden. Um einheitliche Selektions- und Bewertungsrichtlinien in Europa zu erhalten, wird eine Tierzuchtverordnung und im Zuge dessen eine Anpassung der nationalen Regelungen für Veränderungen sorgen.

Die Hengstleistungsprüfung für Reitpferde in Deutschland wird aus diesem Anlass insofern angepasst, als dass Blutpferde einen Vorteil von 0,5 Wertnotenpunkten eingeräumt bekommen. Trakehner und blütige Hengste (also ab 50% Blutanteil) sollen in Zukunft nur noch eine Wertnote von 7,0 benötigen, statt der 7,5 für die Stallkollegen. Ebenso werden beim Sporttest für Edelblutpferde andere Standards angesetzt. (siehe auch: Artikel im St. Georg)

Großer Gewinner bei dieser Prozedere ist auf den ersten Blick der Trakehner Zuchtverband. Aber wie konnte es überhaupt dazu kommen? Trakehner waren über Jahrzehnte das Sinnbild des modernen Sportpferdes. Wenn deren Leistungsfähigkeit im Sport nachgelassen hat, sollte man Wege finden diese Leistung widerherzustellen. Stattdessen wird an der Stellschraube der Beurteilung gedreht, um eine Konkurrenzfähigkeit künstlich am Leben zu halten.

Diese Pferde haben früher einmal Maßstäbe in allen olympischen Disziplinen im Reitsport gesetzt.

Was ist seitdem passiert?

Ist die richtige Antwort darauf wirklich, die Ansprüche für das Blutpferd weiter herunter zu schrauben?

Der Trakehner Verband geht neue Wege. In einer Pressemitteilung vom 18. Dezember 2017 wird die Neuausrichtung der Zucht auf die Sparten Dressur und Vielseitigkeit kundgetan.

Pferdezucht hat sich weiterentwickelt. Eine solide Doppelveranlagung ist nicht mehr das erklärte Zuchtziel für viele Züchter, sondern Spezialisierung in den Sparten Dressur und Springen. Wer sich gegen diese Idee sperrt, der verhält sich nicht zeitgemäß. Die Frage, ob man Doppelveranlagung wirklich ohne Spezialisierung erhalten kann, beantworte ich in diesem Artikel (Doppelveranlagung – Auszeichnung oder Makel?).

Was bringt diese Entscheidung?

Jetzt mag man argumentieren, der durch diese Regelung entstehende Schaden sei gering. Denn ob nun ein blutgeprägter Hengst mehr oder weniger seine Zuchtzulassung erhält, kratzt die deutsche Pferdezucht nicht. Die Bedeckungszahlen dieser Hengste wird das freilich nicht positiv beeinflussen. Den Marktwert der Nachkommen ebenso wenig.

Die Handvoll Idealisten, die mit hoch im Blut stehenden Hengsten züchtet, wird diese Entscheidung erstmal begrüßen. Aber bringt uns das weiter? Ich sage nein, denn der Schaden für das Image des Blutpferdes ist bereits angerichtet. Wenn man offiziell einräumt, diese Pferde seien ohne fremde Unterstützung nicht konkurrenzfähig, so ist das eine züchterische Bankrotterklärung.

Fazit

Da ich mit meiner blutgeprägten Zuchtphilosophie von dieser Regelung profitieren könnte, könnte ich getrost dafür stimmen. Aber ich bin fest überzeugt Blutpferde müssen sich im Sport bewähren, sonst braucht man sie in der Zucht ebenso wenig.

Ein Absenken der Ansprüche hilft langfristig Niemandem. Zumindest wenn man das Vorhaben zu Ende denkt. Wenn die blütigen Pferde gut genug sind, brauchen sie seitens des Zuchtverbandes keine Unterstützung. Sind sie es nicht, so braucht man diese Pferde in der Zucht nicht.

Ihren Weg im Sport können diese talentierten Sportpferde als Wallach oder ungekörter Hengst trotzdem gehen. Man muss nicht aus jedem guten Sportpferd einen Hengst machen.

Weiter mit einem ähnlichen Thema: 11 Ursachen für den Rückgang des Vollblüters in der Warmblutzucht oder Der optimale Vollblutanteil beim Sportpferd

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2 Gedanken zu „Wird das Blutpferd im Deckeinsatz benachteiligt?“

  1. Nach Satzung des Trakehner Verbandes muss ein geprüfter Hengst die gleichen Leistungsansprüche erfüllen wie alle anderen Warmblüter auch. Damit ist die oben getätigte Aussage falsch. Ändert aber sonst nichts an der Qualität des Artikels.

    Antworten
  2. Der Artikel ist fundiert und müsste eigentlich auch die Meinung vieler Züchter darstellen.Nur,sie sagen es nicht, aus welchem Grund auch immer
    Die erste “ Klatsche‘ wird mit den Reitern kommen:
    Sie reiten einfach immer weniger der Spezialisierung entsprechend
    Dss Spezialpferd fordert aber einseitige Nutzung möglichst auf höherem Niveau..
    Diese Reiter brauchen dringend Pferde mit denen man vielseitig reiten kann
    Den meisten Ausbildern ist das
    egal Hauptsache Geschäft..
    Den Verbänden ebenso…
    Die Spirale dreht sich nach unten wenn nicht die Verbände tätig werden, Verbandsreitlehrer und Übungsleiter‘ für das Volk‘ zur Verfügung stellem
    Die Züchter benötigen auch Blüter um Reflexe und Ausstrahlung der Pferde zu erhalten was ohne Zutun nicht möglich sein wird
    Dazu brauchen wir wider Reiter los geht’s bei 1….
    Der Vielseitigkeitssport ist im Amateurbereich sträflich vernachlässigt worden.Daran ändern auch Spitzen wie Hr Jung und Frau Klimke nichts
    Der Typ Vielseitigkeits Ausbilder ist auch ein anderer Typ Mensch als die Standard Reitlehrer .
    Die FN interessierte eher wenig….

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