Das überbaute Springpferd

Dem Reiter wird nach klassischer Lehre suggeriert, dass ein überbautes Pferd ein Makel für ein Reitpferd ist. Diese Behauptung kann man so undifferenziert nicht stehen lassen. Denn es handelt sich bei einem überbauten Pferd nicht um eine Verfehlung, wie viele anzunehmen scheinen. Die massiv bemuskelte, stark überbaute Kruppe hat in der Pferdewelt durchaus ihren Sinn. Es lohnt sich daher, dieses Thema einmal näher zu beleuchten und nach Einsatzgebieten zu suchen.

Was bedeutet „überbaut“?

Inhalt

Ein überbautes Pferd wird so bezeichnet, wenn die Hinterhand (der höchste Punkt der Kruppe) höher ist, als der höchste Punkt am Widerrist.

Manchmal täuscht der erste Eindruck. Eine mächtige Hinterhand und abfallende Rückenlinie können lediglich so wirken, als wären sie höher angelegt, als der Widerrist.

Es lohnt daher, am stehenden Pferd mit einem Zollstock auf dem Rücken von Widerrist zur Kruppe den Test zu machen. So lässt sich leicht feststellen, ob das Pferd tatsächlich überbaut ist, oder ob dies bloß eine optische Täuschung ist.

Wem nutzt ein überbautes Pferd?

Wer im Rennsport Sprinter und Langstreckenläufer vergleicht (ob nun Pferderennen oder in der Leichtathletik), wird feststellen, dass für den Sprint enorme Muskelpartien notwendig sind, um einen kraftvollen Antritt und maximale Geschwindigkeit auf kurzen Distanzen zu entwickeln. Der Langstreckenläufer braucht solche kräftigen Muskelpartien nicht. Diese bedeuten im Gegenteil unnötige Masse, die den Bewegungsapparat belasten und Ausdauer-Einbußen zur Folge hat.

Der vierbeinige Sprinter (klassisch das Quarter-Horse und der Kurzstrecken-Vollblüter) hat erhebliche Muskelmasse an der Hinterhand vorzuweisen, sogenannte Hosen. Die Hinterhand wirkt im Verhältnis zum restlichen Körper massiv und die Hinterhand ist im Regelfall zusätzlich überbaut, was für größere Hebel in der Hinterhand sorgt. (siehe auch: Das klassische Reitpferdemodell)

Was gibt es daran zu bemängeln?

Nach klassischer Reitlehre ist ein solches Pferd nicht genügend bergauf konstruiert, es fehlt ihm zudem oft an Aufsatz. Konkret sorgt eine überbaute Kruppe dafür, dass das Pferd weniger leistungsfähig ist, weil es ständig auf der Vorhand läuft. Das hängt jedoch streng genommen vom Verwendungszweck ab, denn unter Westernpferden ist diese Körperform ausdrücklich erwünscht.

Für ein Dressurpferd ist die überbaute Kruppe dagegen schon eher ein Problem. Einfach, weil es schlicht geeignetere Kandidaten für den Grand Prix gibt, als den massiv überbauten Bodybuilder-Typus. In der dauerhaften Bergab-Tendenz fallen Versammlung, Aufrichtung und Schulterfreiheit schwer, außerdem rutscht bei vielen Pferden der Sattel nach vorn.

Ein überbautes Pferd kann schneller unter diffusen Rückenproblemen und Lahmheiten leiden. (siehe auch: Trageerschöpfung beim Pferd erkennen) Zum einen durch die kontinuierliche Belastung der Vorhand, sofern die nicht geeignet ist, die Kräfte aufzufangen. Zum anderen kann sich das Verletzungsrisiko erhöhen für das Greifen der Hinterbeine in die Vorderbeine (Ballentritt).

Die Auswirkungen

Das Problem mit der Argumentation vom grundsätzlich untauglichen Reitpferd ist, dass viele internationale Springpferde so aussehen. Im Seitenbild sind sie nach klassischer Exterieurlehre nicht ideal, sondern bergab konstruiert.

Dafür bringen sie aber Leistung. Man nehme zum Beispiel einen Franzosen wie Galoubet A, der überbaut ist und bergab konstruiert. Dessen Nachkommen allerdings trotz aller Vorhandlastigkeit herausragend kraftvoll springen. Das klassische Gengenbeispiel ist der Schönling Escudo I, ein in Exterieur und Aufmachung bildschönes Pferd. Er bringt zwar eine tolle Halsung und perfekte Oberlinie mit, dafür reicht es sportlich nicht für ganz oben. Bei den Nachkommen sieht es ähnlich aus.

Daraus lässt sich bereits schlussfolgern, dass das Überbaut sein an sich kein Hinderungsgrund für ein sporterfolgreiches Pferd ist. Es hängt halt davon ab, welcher Verwendungszweck vorgesehen ist und wie der Körper kompensieren kann. Nachfolgend sollen die Auswirkungen im Sprungablauf genauer beschrieben werden.

Für das Springpferd

Überbautsein und Springvermögen stehen bekanntermaßen in Zusammenhang. Kein Wunder, denn viel Motor macht bei einem Springpferd intuitiv Sinn. Schließlich braucht es Kraft, um 650 kg Lebendmasse plus Reiter über Hindernisse zu tragen. Die Muskulatur hierfür kommt in der Hinterhand unter und wird im Idealfall durch eine optimal gewinkelte Hinterhand unterstützt. Die großen Hebel sorgen für eine überdimensionierte Hinterhand, das Pferd ist überbaut.

Die Gefahr bei dieser Körperkonstruktion liegt darin, dass das Pferd dazu neigt, auf der Vorhand zu laufen. Beziehungsweise nach Reiter Mundart „kopflastig“ ist. Das Pferd hat dann grundsätzlich Schwierigkeiten, sich im Galopp zu setzen und vor den Reiter zu kommen. Wenn das Pferd vor dem Sprung nicht genügend aufgenommen wurde, folgen regelmäßig Vorhandfehler, weil es nicht selbstständig vom Sprung wegbleibt.

Das Gefühl beim Landen nach dem Sprung ist für den Reiter potentiell unangenehm, weil das Pferd vor ihm in Richtung Boden abtaucht. Gelingt das Schließen des Pferdes nicht innerhalb kürzester Zeit, folgt nach dem Sprung ein in den Boden gerichteter Vierschlag-Galopp. Eine flache Galoppade ohne viel Engagement der Hinterhand bewirkt, dass das Pferd mit der Nase in der Landephase gen Boden bohrt. Das erschwert das Weiterreiten im Parcours für den Reiter erheblich.

Damit die Vorzüge eines überbauten Pferdes am Sprung zur Geltung kommen können, bedarf es einem Mehraufwand im täglichen Training. Dies lohnt sich nur dann, wenn das Pferd über ein Ausnahmetalent am Sprung verfügt. Genau dies tun überbaute Springpferde jedoch regelmäßig.

Als reiterliche Gegenmaßnahme bleibt nur das Pferd gut auf die Hinterhand zu setzen. Das erfordert Extra-Aufwand in der täglichen dressurmäßigen Arbeit zur Sicherung der Durchlässigkeit und ständige halbe Paraden im Parcours, um das Pferd auf das Hinterbein zu bekommen.

Fazit

Man sollte ein überbautes Pferd nicht gleich als untaugliches Reitpferd abstempeln. Bei sachgemäßer Ausbildung, kann es sich durchaus als großes Talent am Sprung entpuppen. Ob ein Pferd gut ist oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, in welcher Sparte ab, man es einsetzen möchte.

Denn es ist mitnichten so, dass ein Pferd als Reitpferd nicht zu gebrauchen ist nur aufgrund einer überbauten Kruppe. Das ist ein Vorurteil, das aus den Köpfen der Reiter leider kaum raus zu kriegen ist.

Ich persönlich gehe sogar noch weiter und sage: die klassische Exterieur Beurteilung ist für ein Springpferd generell der falsche Ansatz.

 

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