Den sticht der Hafer – Über Kraftfutter und Händelbarkeit

Zu viel Hafer macht Pferde übermütig – angeblich!

Erhöhte Schreckhaftigkeit, Bewegungsdrang und Bocksprünge werden jedenfalls gern dem Hafer zugesprochen. Wenn Pferde nervös und gereizt sind, wird ohnehin regelmäßig das Kraftfutter dafür verantwortlich gemacht. Was ist dran am schlechten Ruf des Hafers?

Grundsätzlich ist in Hafer Eiweiß enthalten und ein Eiweißüberschuss kann sich in Vergiftungserscheinungen äußern. Dies sind mitunter angelaufene Beine und Verspannung, was in Schreckhaftigkeit seinen Ausdruck finden kann.

Aber Leistung braucht Versorgung. Ohne ausreichend Kraftfutter wird ein Pferd schlapp und träge. Die meisten Pferde, die ich in meinem Umfeld beobachte, sind jedenfalls nicht überdreht, sondern eher unterfordert.

Hafer macht die Pferde wild?

Inhalt

Was sagen die Profis? Alle echten Experten, die ich bislang zum Zusammenhang von spinnigen Pferden und Hafer befragt habe, waren sich einig: Das ist eine Mähr in den Köpfen der Reiter!

Auch in allen mir bislang bekannt gewordenen Fällen vom stechenden Hafer entpuppte sich das Verhalten des Pferdes, als – in meinen Augen – normales „kernig sein“ eines frischen, gesunden Pferdes. Das angebliche Problem im Pferdeverhalten ist in meinen Augen zumeist ein Mangel an Mumm und/ oder Können seitens des Reiters.

Kein mir bekannter Reiter mit Bezug zum Vollblüter oder hoch im Blut stehenden Sportpferden hat jemals ein Problem mit spinnigen Pferden aufgrund von Haferfütterung gehabt. Das ist doch bezeichnend. Schwerfuttrige Pferde stehen dazu oftmals hoch im Blut oder haben ein höheres Arbeitspensum als der Stalldurchschnitt. Sie brauchen daher mehr Kraftfutter. Die Pferde, die am meisten Probleme machen müssten, vertragen Hafer wunderbar.

Aber sehen wir uns nur die unterschiedlichen Ansprüche an: Ein guter Reiter freut sich, wenn sein Pferd kernig ist und voller Arbeitseifer. Dem Anfänger dagegen macht dasselbe Verhalten eines Pferdes Angst.

Natürlich kann ein Pferd, das unkonzentriert und angespannt ist, nervig sein. Aber Konzentrationsfähigkeit muss konsequent seitens des Reiters verlangt werden, damit es zur Selbstverständlichkeit wird. (siehe auch: Denkpausen gezielt nutzen)

Es ist jedenfalls wesentlich leichter, aus einem grundsätzlich braven Pferd ein Nervenbündel zu machen, als aus einem Verrückten ein Verlasspferd zu formen. Es ist für ein Fluchttier auch nicht weiter ungewöhnlich, dass es umweltorientiert ist und auf einen souveränen Reiter vertrauen möchte.

Was ist denn noch normal?

In meinen Augen ist es notwendig, sich damit zu beschäftigen, warum Reiter heutzutage Pferde benötigen, die zwischen debil und devot rangieren. Provokant formuliert: Was ist überhaupt ein normales Verhalten für ein Pferd?

Wenn man berücksichtigt, dass es

Was ist denn normal, wenn Bocksprünge maximal auf der Weide stattfinden dürfen, Ausreiten in die Natur als gefährlich empfunden wird und Kinder in Sicherheitswesten gesteckt werden, die jede Bewegung unmöglich machen?

Es ist doch in einer pferdefeindlichen Umgebung nicht weiter verwunderlich, auf renitente Pferde zu stoßen. Das Umfeld des Pferdes wird viel zu oft nach den Bedürfnissen des Reiters geformt.

Mit Futterentzug zum braven Reitpferd

Es gibt aber auch noch ein recht verbreitetes Phänomen, das dazu führt, dass Pferden bewusst oder unbewusst Futter vorenthalten wird. Denn wie das Wort Kraftfutter schon sagt, wird dem Pferd hiermit Energie zugeführt.

Ich erlebe regelmäßig folgendes Phänomen:

1. Der Pferdebesitzer ist unzufrieden mit dem Futterzustand seines Pferdes.
2. Der Pferdebesitzer holt sich Rat und füttert das Pferd seiner Trainingssituation angemessen zu.
3. Der Pferdebesitzer freut sich, weil das Pferd wie gewünscht zunimmt.
4. Der Pferdebesitzer moniert nach ca. 2-6 Wochen, dass das Pferd langsam „frech“ wird.
5. Der Pferdebesitzer hat Angst, dass ihm das lebhafte Pferd über den Kopf wachsen könnte und reduziert die Futtermenge. (Willkommen bei Punkt 1)

Alarmierend finde ich die Einstellung vieler Pferdebesitzer, die das völlig natürliche und gesunde Verhalten ihrer Pferde als unberechenbare Aktivitäten werten. Viele Pferdebesitzer zeigen eine gewisse unterschwellige Angst einen gefühlten oder tatsächlichen Kontrollverlust über das Pferd zu erleiden.

Der einzige logische Ausweg für den Pferdebesitzer ist oft dem Pferd sein Kraftfutter (= Energiezufuhr) zu entziehen, bis das ursprüngliche brave Verhalten wiederhergestellt ist. Aber was erreicht man damit? Eine durch zu wenig Futter erreichte Lethargie, die es dem Pferdebesitzer ermöglicht, gefahrlos mit seinem Pferd umzugehen. Oder etwas weniger blumig: Gefügigkeit durch knappe Fütterung.

Ratlosigkeit

Ich gebe zu, ich stehe auf schwierige Pferde und bin mir bewusst, dass das nicht jedermanns Ziel ist/ sein kann. (siehe auch: Ein Faible für schwierige Pferde) Und mir ist klar, dass ich mir mit solchen harten Worten zu diesem Thema eigentlich nur Feinde machen kann.

Was soll der arme Pferdebesitzer auch tun?

Nicht jeder ist ein begnadeter Reiter oder kann/ will sich teuren Vollberitt leisten. Dennoch muss ich hier an die Vernunft der Pferdebesitzer appellieren, die Schuld nicht immer beim Pferd zu suchen.

Lieber Pferdebesitzer, wenn es so weit gekommen ist, dass Ihr Pferd nur durch einen permanenten Mangel an Futter für Sie beherrschbar ist, dann läuft hier etwas grundlegend falsch!

Es kann doch nicht sein, dass ein Mangel an Reitkünsten derartig auf Kosten des Pferdes ausgelebt wird. Wenn das Pferd an seinen guten Tagen nicht beherrschbar ist, dann suchen Sie sich Hilfe und/ oder ein zu Ihren reiterlichen Fähigkeiten passendes Pferd! Das mag sich wie ein Scheitern anfühlen. Aber nicht alle Pferd/ Reiter-Kombinationen passen zusammen und es ist keine Schande, sich das einzugestehen.

Was kann man tun, um Abhilfe zu schaffen?

Wer den Futterzustand seines Pferdes zu verbessern will, der sei auf die 3 wichtigsten Punkte hingewiesen, die regelmäßig fehlen:

Reichlich gutes Heu
Sinnvolle Mengen an Kraftfutter
Mindestbedarf an Mineralfutter

Ich hoffe ich konnte mit diesem Text zum kritischen Nachdenken anregen.

Weiter mit einem ähnlichen Thema: Futtermittelkunde oder Warum du weder Pellets noch Müslis verfüttern solltest

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8 Gedanken zu „Den sticht der Hafer – Über Kraftfutter und Händelbarkeit“

  1. Schöner Artikel, ganz in meinem Sinne. Ich habe das über 40 Jahre als Tierarzt gepredigt, dass man Pferde nicht mit einer Hand voll Müsli ernähren kann, was gerade für ein Meerschweinchen oder einen Stallhasen genügt. Reiten heißt Beine zumachen, nicht die Pferde hungern lassen, bis sie gefügig sind.

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    • hmmmm…..also das mit dem „Beine zumachen“ kann ich so nicht unterschreiben. Ich halte es eher mit Eberhad Hübner „Schmeichelnder Sitz, flüsternder Zügel, atmender (!!) Schenkel“. Ich glaube aber zu verstehen, was sie meinen 🙂

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  2. Danke!
    Habe gerade überlegt ob ich meinem
    Vollblut die abendliche Ration Hafer streichen soll!
    Er bekommt morgens Müsli ohne Hafer und Mineralfutter plus Mönchspfeffer ( wurde mir empfohlen weil er angeblich rossige Stuten besteigt)
    Und abends Hafer!
    Ist das okay, oder zuviel des Guten?

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  3. Ja, das Problem mit der „Haferallergie“ vieler Pferdebesitzer hat ganz schön überhand genommen. Die Futtermittelindustrie freut sich darüber. Es ist überhaupt schade, daß die Pferde nur und immer funktionieren sollen (überwiegend übrigens bei den wohlmeinendsten Freizeitreitern – ich darf das sagen, bin auch Freizeitreiter) und keinen „Glanz“ oder „Stolz“ mehr haben/ ausstrahlen.
    Kein Kraftfutter, das Pferd mit der ewig gleichen Bodenarbeit zu Tode langweilen plus die 7 Spiele von Parelli = scheintotes, „ungefährliches“ Pferd für den unsicheren „Anwender“

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  4. Habe die Artikel heute gelesen und Stimme Ihnen da voll zu.Mein französischer Traber kam als Problempferd zu mir .Er hatte ständig zu wenig Futter bekommen und es wurde mir gesagt , er neige dazu dünn zu werden im Winter. Seine Psyche war auch dementsprechend….nennen wir es mal instabil.Alles war gruselig , er reagierte schreckhaft bei der kleinsten Veränderung.
    Er bekam im ersten Winter bei mir jeden Tag 5Liter Hafer und Heu adlibidum….gleichzeitig arbeitete ich ihn vom Boden und ritt mit ihm aus.
    Er ist jetzt 5Jahre bei mir und für mich ein echtes Verlasspferd.
    Er ist manchmal etwas kernig , aber immer händelbar .
    Hafer bekommt er immer noch und wir kommen prima damit klar.
    Ich würde nie auf die Idee kommen ,ihm sein Futter zu kürzen nur weil er mal einen übermütigen Tag hat.
    Der Artikel spricht mir aus der Seele.
    Vielen Dank für diese wahre , kritische Aussage.

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  5. Interessanter Artikel.
    Fütterung muß der Auslastung angeglichen sein.
    Genauso sollte es abwechslungsreich sein, ein Pferd in der freien Wildbahn würde sich nicht monoton ernähren wie es in vielen Ställen der Fall ist, Mineralfutter reicht nicht immer alleine aus.
    Fütterung kann auch moderne Medizin und Prophylaxe sein.
    Wir haben ein Sportpferd, 1,81 m, mit extrem schlechten Leber- und Muskelwerten sowie hohen Entzündungswerten und komplett unterernährt übernommen, damals 620 KG, heute 736 KG und Idealgewicht.
    Nach Aussage des Vorbesitzer sollte er nur eine handvoll Hafer bekommen um brav zu bleiben……..der arme Kerl hat schon begonnen seine Muskelmassen zu verbrennen, er sah bemitleidenswert aus.
    Nach Rücksprache mit Tierarzt und Uni (für Tierernährung) haben wir seine Ration auf 13 KG Heu, 2 KG Hafer, 60 ml Sonnenblumenöl, 60 ml Leinöl, 200gr. Erbsenflocken, und Mineralfutter geändert. Dazu saisonale Vielfalt, z.B. mal Weidenäste zum knabbern, etwas (!) Laub im Herbst oder Hagebutten als Leckereien.
    Alle waren davon überzeugt, dass Pferd fliegt uns mit dieser Fütterung um die Ohren, genau das Gegenteil war der Fall.
    Mit klassischer reeller Dressur, Springen, Bodenarbeit und Ausritten bekamen wir ein entspanntes, zufriedenes, fleißiges, gesättigtes ehemaliges S Springpferd das gerne lernt, verläßlich ist und mit seinen Menschen die Arbeit genießt.

    Aber, wir müssen nach 1 Jahr Hafer reduzieren, um 500 gr/Tag, da sonst langsam Fettpolster entstehen würden, also auch hier das richtige Maß finden und Fütterung ständig dem Lebensumständen anpassen.

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  6. danke, endlich auf dem Punkt gebracht!! wirklich gutes Heu und Hafer mit Mineralfutter sind das Wichtigste.
    nach 20 Jahren Vollblut und Angelo Araber kann ich dies nur bestätigen.
    Selbst der Hengst bekam immer viel Hafer und dies hat ihm im Wesen nie geschadet.
    Wenn Stute oder Hengst mal nicht so munter und lauffreudig waren, hab ich mir eher Sorgen gemacht, ob eh nicht wo was zwickt.
    Sie waren beide Verlasspferde. Die Stute kaufte ich als mageres Problempferd. 24h Heu, Hafer, Vertrauensarbeit, täglich viel Bewegung an der Hand und geritten, Herde, sie ging mit uns durch dick und dünn.

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