Die Sache mit der Größe – Kleine Pferde im großen Sport

Die Sorge vor mangelnder Größe scheint ein verbreitetes Problem (nicht nur in der Männerwelt) zu sein. Selbst die Damen der Reitsportszene können sich mit dem Gedanken an ein kleines Pferd nicht wirklich anfreunden. Das Absatz-Problem, das kleine Pferde beim Verkauf regelmäßig verursachen, lässt sich mit Fakten nicht beikommen. Während anderswo Pony-Züchter belächelt werden, deren ständige Sorge sich um die Einhaltung der 1,48m dreht, sieht es bei den Warmblütern bei Lichte betrachtet eigentlich kaum besser aus. Ein Plädoyer für kleine Pferde mit großem Herzen…

Eins ist klar: Reiter sind konservativ.

Zumindest wenn es um die Größe ihrer Pferde geht. Ein Pferd im Standardmaß 1.68-1.72m ist gewünscht. Viel größer oder kleiner darf das künftige Sportpferd nicht sein. Eine Abweichung um wenige Zentimeter wird toleriert, dann ist aber Schluss mit der Toleranz. Nach oben sind die Grenzen fließend, aber nach unten ist schnell Schluss mit lustig.

Eine Abweichung vom Gardemaß ist nicht erwünscht!

Label: unverkäuflich

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Diese Sorge setzt sich naturgemäß vom Reiter (ergo Kunden) zum Züchter fort. Die „zu kleine“ Nachzucht von unter 1.65m stellt Züchter regelmäßig vor ein echtes Vermarktungsproblem. In dieser Größenordnung ist scheinbar nur über den Preis überhaupt ein Verkauf zu erzielen.

Das Schnäppchen-Pferd für den kleinen Reiter sorgt für einen nicht unerheblichen materiellen Schaden beim Züchter. Dieser fasst spätestens beim ersten Reinfall schnell den Vorsatz, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen. Größe ist schließlich eine Eigenschaft, die relativ leicht in der Zucht zu selektieren und beeinflussen ist.

Egal bei welchem Hengsthalter man anruft, es wird einem sogleich Auskunft über Typ und Größe der Nachkommen eines Hengstes gegeben – die zwei Merkmale, die mit Leistung wahrscheinlich am allerwenigsten in Verhältnis stehen.

Tiermedizinisch bedenkliche Entwicklung

Ein großer Hengst muss her, wenn es bei der Stute Fragezeichen in der Größenvererbung gibt, so einfach ist das! Dabei ist diese Entwicklung zu immer größeren Pferden aus tiermedizinischer Sicht absolut bedenklich.

Denn gerade große Pferde haben eine wesentlich höhere Chance, aufgrund von Verletzungen oder Erkrankungen des Bewegungsapperates oder Rückens gesundheitlichen Schiffbruch zu erleiden. Bei kleineren Pferden ist das Verhältnis von Eigengewicht zu Stärke der Beine erheblich besser ausgeglichen. Außerdem sind sie weniger anfällig für Balance-Probleme, weil der Körperschwerpunkt niedriger ist. Das macht sie nicht nur gesundheitlich robuster, sondern auch wendiger.

Der Faktor Langlebigkeit in Relation zu kleiner Größe ist im gesamten Tierreich bekannt. Bei Hunden weiß jedes Kind, dass kleine Hunde gesünder alt werden als Große. Auch bei den Pferden sind es beinahe ausschließlich Ponies, die bei bester Gesundheit ein Rekord-Alter erreichen. Das hat schon seine Gründe!

Kleine Pferde ganz Groß im Sport!

Die Bedeutung von Körpergröße wird im allgemeinen für die Leistungsfähigkeit des Pferdes überschätzt. Aber statt weiter zu argumentieren, sollen reale Beispiele zeigen, zu was für Leistungen kleine Pferde im Top-Sport fähig waren. Eine Liste nach Disziplinen.

Springsport

Es gibt immer wieder Sportpferde, die die Behauptung Lügen strafen, dass kleine Pferde mit den großen Distanzen im Parcours nicht fertig werden!

Eine französische Sport-Legende ist Jappeloup/ Pierre Durand (1,58m), dessen Leben sogar als Filmvorlage diente (zum Trailer). Höhepunkt seiner Karriere war das Einzel-Olympiagold in Seoul 1988. Die Wendigkeit des kleinen Pferdes ist beeindruckend!

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Aber auch heute geht das noch! Hermes Ryan/ Simon Delestre (Titelfoto) ist ein top aktuelles gutes Beispiel mit 1,59m Größe. Man denke nur an den quirligen Franzosen Itot du Chateaux/ Edwina Tops-Alexander (1,59m), Flipper D’Elle/ Laurent Goffinet (1,61m), Cedric/ Laura Kraut (1,58m) oder die deutschen Paare Quick Star/ Meredith Michaels-Beerbaum (1.59m) und Lambrasco/ Janne Friedrike Meyer (1.60m). Letzterer konnte erst in Kentucky 2010 und im darauf folgenden Jahr beim Großen Preis in Aachen 2011 mit sensationellen Runden gewinnen. Am Sprung fiel die geringe Größe kaum auf, siehe Foto unten.

Lambrasco

Dressursport

Im Dressurviereck tut man sich mit der Präsenz von kleinen Pferden noch mal deutlich schwerer als bei den Springreitern. Das Pferd könne „das Viereck nicht ausfüllen“, bei Maßen von 20x60m würde dem Pferd auf der Diagonalen der Sprit ausgehen und weitere Vorurteile sind weit verbreitet. Denn mal ehrlich, als ob 10 Zentimeter mehr oder weniger auf 40 bis 60 Meter Bahnlänge überhaupt sichtbar wären?!

Dabei hat Rembrandt/ Nicole Uphoff zu einer Zeit, wo noch deutlich kalibrige Dressurpferde das Viereck dominierten gezeigt, dass ein elegantes Damenpferd durchaus große Wirkung haben kann.

Auch Goldstern/ Klaus Balkenhol galt als zu klein für den Sport, setzte sich aber dennoch durch. Neben zwei Mannschafts-Goldmedaillen bei den Olympiaden 1992 und 1996 waren drei Europameister-Titel drin.

Uthopia/ Carl Hester (1,64m) ist auch nicht übermäßig groß. Zum Olympia-Sieger 2012 mit der Mannschaft hat es gereicht.

Vielseitigkeit

Am bekanntesten ist wohl der (doppelte) Olympia-Goldmedaillen-Gewinner von 1984 und 1988: Charisma, der unter seinem riesigen Reiter Mark Todd noch kleiner wirkte, als er ohnehin schon war (1,57m).

Oder Glengarrick/ Heelan Tompkin (1,57m), der nicht nur durch sportliche Leistung, sondern auch beeindruckende Zähigkeit im Sport begeistert. Bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 war er 18-jährig nicht mehr im Team, wurde in der Einzelwertung 7. In Aachen hatte er 2006 mit 20 Jahren(!) seinen letzten Championats-Auftritt und belegte einen respektablen 7. Platz in der Einzelwertung.

Auch Headley Britannia/ Lucinda Fredericks (1,60m) fällt durch ihre geringe Größe auf. Aber Herz hat sie mehr als genug! Sie gehört zu den wenigen Stuten, denen es jemals gelang die großen Prüfungen von Burghley 2006 und im Folgejahr auch Badminton 2007 zu gewinnen.

Mehr Herz statt Größe!

Allesamt sind die aufgeführten Top-Sportpferde  Pferde mit ganz viel Herz und Selbstvertrauen, trotz geringer Größe. Diese Beispiele führen einleuchtend vor Augen, dass kleine Pferde (trotz geringer Chancen entsprechend vermarktet zu werden!) im internationalen Topsport bestehen können. Für ganz oben, sagt man nicht ganz zu unrecht, ist viel Herz manchmal wichtiger als die letzte Qualität.

Ein gutes Pferd ist ein gutes Pferd. Ende der Geschichte.

Argumente wie Mangel an Größe sehen mich regelmäßig fassungslos. Rein optisch kann jedenfalls ein Sportpferd mit genug Rahmen und Gurtentiefe auch bei einem Stockmaß unter 1.65m noch große Reiter abdecken. Und in der Leistung sind ohnehin keine Einbußen zu verzeichnen. Ganz im Gegenteil, denn die Anzahl von Pferden jenseits der 1.75m mit Fesselträgerschäden und Sehnenproblemen ist bewiesenermaßen wesentlich höher als bei den Stallkollegen im mittleren Rahmen. Allein das scheint für ein Umdenken nicht zu reichen.

Groß ist die Zahl von Züchtern, die ihre kleinwüchsigen Pferde als Jugend- und Damenreitpferde zu Minimalpreisen verkaufen. Warum eigentlich? Es weiß doch heutzutage eigentlich jeder, dass Größe nicht alles ist…

 

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Weiter mit einem ähnlichen Thema: Wann haben Pferde Kampfgeist? oder Zu Hause haben alle S-Pferde

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11 Gedanken zu „Die Sache mit der Größe – Kleine Pferde im großen Sport“

  1. Stimme ich als Reiter und Züchter 100% tig zu. Aktuelles Beispiel ist Comme il faut. Ich sebst bin 1.92m reite aber lieber Pferde unter 1.70m ,auch wenn das Optisch manchmal nicht so passt.

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    • Danke für die zusätzlichen Praxis-Beispiele!
      Gerade an Comme il faut wurde tatsächlich anlässlich seiner Körung viel lautstarke Kritik aufgrund seiner Körpermaße geübt. Die Stimmen sind verdächtig ruhig geworden seitdem er über 1,60m turnt 😉

      Antworten
    • Vielen Dank für diesen Hinweis!
      Wobei das offiziell von den Hengsthaltern angegebene Maß bei 1,65m für Damon Hill respektive 1,70m für Totilas liegt. Da ich noch nicht die Gelegenheit hatte mit einem Stockmaß der Sache nachzugehen, habe ich sie bewusst ausgelassen. Wenn die Angaben stimmen, so sind sie eher im normalen Rahmen.

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  2. Stimme ich absolut zu. Habe selbst eine 160cm Stute die erfolgreich bis S gelaufen ist. Sie hat Herz und Kampfgeist für zwei. Leider ist bei ihr was die Vererbung angeht wirklich die Sache mit der Größe wichtig. Ihr erstes Fohlen (Vater 168cm) wird mit viel Glück 155cm groß werden, das zweite mit einem Vater dessen Familie bekanntlich groß vererbt wird wohl um die 168-170cm werden. Ich selbst reite gerne kleine Pferde. Das große Problem bei ihnen ist aber eben auch das sie schneller mal Angst bekommen als ein großer und damit muss der Reiter umgehen können.

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  3. Vor ca. 17 Jahren hat sich das Landgestüt Celle von einem Hengst getrennt nachdem er das Dobrock Championat mit Joachim Winter gewann- der Grund war die Größe des Pferdes und die sportlich geringe Aussicht für den Springsport.
    Dieser Accord II x Ferrari Sohn ist dann mit seinen 1,64m in Wellington FL über die dicksten Großen Preise gegangen. Er ist bis heute ein intelligenter, leistungsstarker, willensstarker, wunderschöner und gesunder (kleiner) Hengst.

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  4. Mein kleiner Tangelo Nachkommen ist 160cm springt aber unter mir als Amateur lässig über S*** somit Höhen von 1,50-1,55m . Die Grösse ist nicht wichtig Einstellung und Herz müssen sie haben.

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  5. Und nicht zu vergessen, dass man als Reiter diese Größe auch reiten /sitzen können muss! Rein anatomisch ist es schwer, dass sich Reiterbecken und Pferdebecken im Gleichklang bewegen, wenn das Pferd so viel größer ist. Die „alten“ Dressurpferde der „alten Meister“ waren alle nicht so groß – Lippizzaner sind auch eher kleine Pferde…

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