Wettrüsten zu Pferd – Die reiterliche Angst vor Kontrollverlust

Viele Reiter haben Angst vor Kontrollverlust. Dies ist ihnen mehr oder minder bewusst und passiert sowohl auf dem Pferd wie auch im Umgang mit diesem. Dabei ist das Wettrüsten gar nicht so alternativlos, wie es gern dargestellt wird. Über Wege zum Abrüsten für ein besseres Miteinander.

Nun möchte ich an dieser Stelle nicht anti-autoritär rüberkommen, aber am meisten Kontrolle hat man nach meiner Erfahrung über Pferde, denen man gewisse Freiheiten einräumt. (siehe auch: Faible für schwierige Pferde)

Zwanglosigkeit statt Angst

Inhalt

Man muss ja nur mal die Frage stellen: Wer Reitet bei einer kleinen Schrittrunde vor der eigentlichen dressurmäßigen Arbeit heute schon noch am hingegebenen Zügel durch das Gelände? Wer ist nicht permanent bemüht die Kopfhaltung und Geschwindigkeit seines Pferdes vorzugeben? Das sehe ich immer seltener.

Bitte nicht falsch verstehen; laisez-faire und Ziellosigkeit bringen einen reiterlich nicht weiter und sind in meinen Augen auch nicht erstrebenswert. Aber bei einem gemütlichen Ausritt mal die Zügel freizugeben, ohne Sattel zu Reiten oder mit Halsring durch einen Parcours steuern… Wer macht das schon noch?

Reiten in Zwanglosigkeit kennen viele Reiter nur aus ihrer Kindheit. Da hat man Sachen gemacht, die einen heute zum Kopfschütteln bringen. Das muss man nicht als mystische Gegebenheit glorifizieren, sondern ist ganz leicht erklärbar. Je älter der Mensch wird, desto mehr Gedanken macht er sich darüber „was alles passieren könnte“. Ein bisschen Angst, oder besser Respekt, ist schon sinnvoll. Das Problem ist nur, dass diese Gedanken schneller dafür sorgen, dass tatsächlich etwas passiert, als einem im Umgang mit 650 Kg Lebendmasse lieb sein kann.

Aus diesem Gedanken-Karussell gilt es auszusteigen. Sich Gedanken über sein Vorgehen mit dem Partner Pferd ist die eine Sache, sich Horrorszenarien zu überlegen, die passieren könnten, eine gänzlich andere.

Freiheit auf Ehrenwort

Ich persönlich versuche auch extrem schwierigen Pferden insbesondere im ersten Kontakt eine gewisse Freiheit auf Ehrenwort einzuräumen. Genau richtig gehört: Egal was sie vorher angestellt haben, wen sie ins Krankenhaus gebracht haben und was für einen Ruf sie haben. Nähert man sich ihnen mit Respekt und größtmöglicher Lockerheit, lässt ihnen Handlungsspielräume und verschärft die Einwirkung nur in akuter Notlage, so wird es nach meiner Erfahrung oft zu keiner nennenswerten Reaktion kommen.

Warum? Weil sie überrascht sind. Weil diese Pferde sich oft in einer Spirale aus Gewalt befinden, auf der kein Ausstieg (schon gar nicht seitens des Reiters) vorgesehen ist. Wie oft habe ich von staunenden, beinahe empörten Besitzern die Zeilen „Bei dir macht er ja auch gar nichts!“ gehört, wenn ich auf ihren vormals so wilden Zauseln saß.

Reiter kennen oft nur Eskalation als Mittel der Widererlangung von verloren gegangener Kontrolle. Die Angst reitet unterbewusst immer mit. Das fängt mit Ablongieren vor dem Reiten an und führt über scharfe Gebisse zu Schlaufzügeln. Man muss nur mal einen Blick auf die Oberarme von Reitern werfen – wo nehmen die solche Muskel her? Wo soll das noch hinführen?

Mehr Druck führt zu Gegenwehr, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wie sieht es denn aus, wenn man es mal andersherum versucht? Abrüsten sozusagen.

Das Pferd hat immer einen Grund

Natürlich wird der Punkt kommen, wo ein freches Pferd zur Herausforderung wird. Da muss man manchmal wirklich schnell schalten und punktuell hart einwirken, damit sind im Regelfall die Fronten schnell geklärt. Aber das wichtigste nach so einer Episode? Abrüsten! Sofort!

Sobald dem Reiter keine akute Gefahr mehr droht, muss dem Pferd wieder mit lockeren Zügeln und der Möglichkeit nach vorne auszugleichen die Möglichkeit gegeben werden Ängste oder Frust abzubauen. (Und ja, das mag Überwindung kosten!)

Das Pferd hat (aus seiner Sicht) immer einen Grund für seine Handlungen. Es tut nichts, einfach nur, um seinen Reiter zu ärgern. Das sagt man zwar schon mal so dahin, aber unterstellt dem Pferd mehr rationales Handeln als ihm kognitiv möglich ist. Es hilft sich vorzuhalten: Es ist immer der Reiter Schuld an der Eskalation, und sei es, weil er das Pferd überfordert. Ein klein wenig Demut hilft, sich alternative Vorgehensweisen auszudenken und Reiten als Denksport zu verstehen.

Das Wettrüsten mit dem Pferd führt nach meiner Beobachtung immer zu einem unzuverlässigen Sportpartner. So ein Pferd wird immer eine Gelegenheit suchen, das Gefragte nicht tun zu müssen. Verweigern, Widersetzlichkeit zeigen. Warum nicht eine echte Partnerschaft anstreben?

Wenn da was passiert!?

An dieser Stelle höre ich oft den Vorwurf: „Dir ist wohl noch nie so richtig was passiert, wenn du so redest!“

Und das stimmt.

Vielleicht kann ich mir nur deswegen so viel positive Energie pro Pferd erhalten und hätte sonst mehr Angst. Jetzt sollte man sich aber mal die Frage stellen, woran es wohl liegen mag, dass mir in über 25 Jahren Reitkarriere noch nichts passiert ist. Denn Gelegenheiten dazu gab es nun wirklich mehr als genug. (Was nicht heißt, dass ich annehme, es könnte mir nicht jederzeit etwas passieren, das wäre überheblich.)

In meiner Kindheit hat mir mal ein Reitlehrer nach einem Sturz versichert: „Wenn du 100 Mal gefallen bist, dann fällst du nicht mehr.“ Keine Ahnung, ob es stimmt, denn ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Aber eins stimmt; die Frequenz wird niedriger, obwohl die Pferde anspruchsvoller werden. Und die Angst vor dem nächsten Sturz auch, wenn man akzeptiert, dass Stürze zum Reiten dazugehören.

Mir hat dieser Satz bis heute geholfen. Denn wie lernt denn ein Kind laufen? Doch nicht aus dem Selbstbewusstsein heraus, dass es nie stürzen wird, sondern aus der Überzeugung, dass es dennoch klappen letztendlich sein Ziel erreichen wird.

Oder auf den Reitsport übertragen: Die Erwartungshaltung nicht stürzen zu dürfen, ist das, was Reiter lähmt.

Fazit

Also liebe Reiter; einfach mal an die eigene Nase fassen und ganz bewusst abrüsten. Die Wirkung auf das Pferd ist wirklich erstaunlich. Denn kein Pferd widersetzt sich aus Bösartigkeit. Es macht Sinn sich einmal zu überlegen, wo das Problem wirklich ist.

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8 Gedanken zu „Wettrüsten zu Pferd – Die reiterliche Angst vor Kontrollverlust“

  1. Danke ! Habe selten so einen guten Artikel gelesen.Abrüsten ist der beste Ausdruck,den ich bisher im Zusammenhang mit schwierigen Pferdengehört habe,aber nur so kann man das Vertrauen zurück bekommen.Gerade heftige Pferde sind dann so überrascht,dass sie doch lieber wieder auf den Reiter achten.,wenn man ihnen das 5.“Bein“nimmt

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  2. Ich gebe meinem Pferd schon intuitiv einen gewissen Grad an Freiheit. Dazu gehört, dass ich mich auf seine Entscheidungen auch mal einlassen kann. Stallkollegen reagieren da manchmal etwas verständnislos. Dass, was ich als Freiheit gebe, bedeutet für viele Kontrollverlust. Für mich ist es eher eine Wertschätzung und ein partnerschaftliches Miteinander mit dem Pferd. Mein Pferd spiegelt diese Wertschätzung und zeigt sich dafür in Kontrolle sehr kooperativ.

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  3. Ich denke für viele sind Ausbinder, verschiedene scharfe Gebisse oder speziell verschnalle Reithalfter eher ein „Anker“ fürndie Psyche als notwenig für die Reiterei. Ebenso das dauernde im Pferd gehänge…

    Wer mal ein Pferd geritten hat was bei Druck durch Zusammenschnüren oder viel Zügeleinführung durchgeht und am Knotenhalfter gut und lässig ins Gelände geht der fängt vielleicht an umzudenken… so ging es jedenfalls mir.

    Abrüsten also in jedem Fall. Mir ist allerdings viel passiert und der Weg zum Vertrauen im Vorraus war sehr lang aber lohnenswert

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  4. Das kann ich so absolut unterschreiben. Vor über 20 Jahren hatte ich mal eine RB auf einem relativ frisch ausgemusterten (und frisch kastrierten) Galopper. Der wirkte auf den ersten Blick schwierig, mit noch deutlichen Hengstmanieren, starkem Sattel- und Gurtzwang, Unrittigkeit und der Tendenz, seine Besitzerin im Gelände in Rekordzeit in den übernächsten Landkreis zu bringen. Das mochte diese nicht und so überließ sie mir das Pferd „mach, was du willst, aber ich reite den erst mal nicht mehr“. Habe dann bei den ersten Kontakten, Putzen, Spazierengehen, Longieren festgestellt, dass das eingentlich ein extrem nettes, kooperatives Pferd ist, und bin dann schnell auf „erst mal ausreiten und gucken, was geht“ umgeschwenkt. Anfänglich allerdings tatsächlich nur nach vorhergehendem Ablongieren, später dann ohne. Mit jedem Ritt (anfangs lange nur Schritt) ein bissel mehr abgerüstet. Das Martingal weg, den Sperriemen weg, das Reithalfter weg, weicheres Gebiss rein. Der Sattelzwang wurde auch mit der Zeit besser. Erste Ansätze zum Pullen (die er schon nach dem ersten Antraben zeigte) wurden sofort, anfangs auch hart, unterbunden, danach sofort Zügel wieder locker. Traben durfte er erst, wenn er „brav“ blieb. Sobald er schneller werden wollte, musste er Schritt gehen. Das dauerte nicht lange und wir konnten lange Strecken am losen Zügel traben. Er WOLLTE immer verstehen und alles richtig machen, er hat wirklich schnell gelernt. Vor dem ersten Angaloppieren im Gelände war mir etwas mulmig, aber das war dann überraschenderweise gar kein Problem mehr. Letztlich konnte ich jede Gangart und jedes Tempo reiten und ihn zu jeder Zeit mit minimalen Hilfen parieren, viel ging mit Stimme. Wir waren fast immer allein unterwegs und es ist nie was passiert. Er war absolut nervenstark und nahezu scheufrei, ich hab mich auf ihm immer wohl und sicher gefühlt. Am Ende gingen auch Sachen wie: nur am Stallhalfter übers Stoppelfeld galoppieren, oder ohne Sattel. Alle paar Wochen konnte ich ihn auch mal richtig Renngalopp laufen lassen und er ließ sich immer sofort bremsen, egal ob nach 50 oder 500m Vollgas. Öfter ging das nicht (obwohl es natürlich toll war), dann wurde er wieder etwas zu „heiß“. Ansonsten hat er jeden Quatsch mitgemacht. Ringreiten, eine Jagd, Ausritte mit fremden Pferden zusammen, Wegreiten von der Gruppe, die Gruppe (die ein kleines Wettrennen machen wollten) davongaloppieren lassen und gelassen hinterherkantern… er war das beste Geländepferd, das ich je geritten bin. Ich bin nicht die beste Reiterin und war es damals erst recht nicht, aber er hat es mir wirklich leicht gemacht und mit ein bisschen „Konzept“ und anfänglicher Selbstbeherrschung (ich wäre schon gern früher getrabt und galoppiert, aber als er mental noch nicht soweit war, hab ich es gelassen) sind wir ein super Gespann geworden. Er lief mir nach wie ein Hund, „Grasen gehen“ ging auch ohne Strick. Bin ich weitergegangen, ist er mitgekommen. So eine Verbundenheit mit einem Pferd habe ich weder davor noch seitdem wieder gehabt. Und einen erheblichen Teil der Lösung hat das „Abrüsten“ und „dem Pferd einen Vertrauensvorschuss geben“ beigetragen.

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