Das Dominanz Konzept – Alter Hut neu erklärt

Das Konzept der Dominanz wird bei Reitern wie Hundehaltern oft missverstanden. Weil mein früherer Beitrag Kommunikation statt Dominanz so viele (positive wie kritische) Kommentare hervorgerufen hat, möchte ich noch diesen Artikel ergänzen, der sich näher mit dem zugrunde liegenden Denkfehler beschäftigt. Ich hoffe damit einen Beitrag zum besseren Verständnis des Wesens Pferd zu leisten.

Die Bezeichnung Dominanz aus der Biologie ist nicht dafür gedacht eine Charaktereigenschaft eines Tieres zu beschreiben. Die Bezeichnung „dominant“ ist nicht absolut, sondern steht immer in Relation zu Tieren untereinander. Das heißt, um dominant zu sein, muss das Tier ein schwächeres Individuum finden. Während ein Pferd in einer Gruppe dominant sein kann, kann es in einer anderen Gruppe in der Rangordnung deutlich weiter hinten anstehen.

Die Tendenz von Reiter ihre Pferde als dominant zu bezeichnen, sagt damit streng genommen mehr über den Menschen aus als über das Pferd. Allzu schnell wird ein Pferd, dessen Verhalten als problematisch angesehen wird, als dominant bezeichnet. Das sagt viel darüber aus, dass der Mensch in einem Konflikt mit diesem Tier steht, sagt aber wenig über den tatsächlichen Rang des Pferdes aus.

Was ich in den allermeisten Pferden sehe, ist ein starkes Bedürfnis nach einer Führungspersönlichkeit. Von den vielen Pferden, die gemeinhin als dominant bezeichnet werden, ist es in Wirklichkeit nur ein Bruchteil.

Die weite Verbreitung der Behauptung ein Pferd sei dominant, sagt damit viel über den Zustand der Beziehungen in vielen Pferd-Reiter Paaren aus.

Aber nun ganz von vorn: Wie kam es überhaupt dazu?

Definition der Dominanz

Inhalt

Das Dominanz Konzept stammt aus der Ethologie und diente ursprünglich der Darstellung einer Rangordnung unter Tieren. Als Rangordnung wird dabei die körperliche Macht über andere Gruppenmitglieder verstanden. Der Status des einzelnen Tieres erhöht sich, wenn es aus besonders vielen Interaktionen als Gewinner hervorgeht.

Ausgangspunkt hierfür ist die Annahme, dass eine strenge Hierarchie vorliegt. Dabei wird jedes Tier linear von einem anderen unterdrückt, außer dem dominanten Tier mit dem höchsten Rang.

Diese Auffassung darüber, wie Tiergruppen untereinander agieren, wurde lange Zeit von Forschern vertreten. Die wissenschaftliche Beweisführung wurde allerdings zumeist am Verhalten von Tieren in Gefangenschaft festgemacht. Tiere in Käfigen leben naturgemäß auf engem Raum, haben eine zweifelhalte Sozialisierung genossen und sind aggressiverer untereinander als in freier Wildbahn. Grund hierfür ist, dass sie in der Wildform für gewöhnlich in Familienverbänden leben und außerdem bei Konflikten die Möglichkeit des Abwanderns haben.

Der norwegische Zoologe Schjelderupp-Ebbe hat im Jahr 1922 ein bei Hummeln bereits bekanntes Dominanzmodell erstmals auf Wirbeltiere übertragen. Er beschrieb dabei das Sozialverhalten von Hühnern und prägte den Begriff „Hackordnung“. Die späteren Beobachtungen von Rudolf Schenkel (1947) an Wolfsrudeln bestätigten dessen Annahmen scheinbar und prägten den Begriff Alphatier.

Soweit aus dem Lexikon der Biologie. Wie sieht es nun in der Praxis aus?

Wie verhalten sich Wildpferde?

Bei der Beobachtung von tierischen Interaktionen ist Forschern heute klar, dass das Konzept der Dominanz weiter gefasst werden muss. Die Toleranz bestimmter Individuen gegenüber einzelnen oder allen Herdenmitgliedern, die Großzügigkeit in der Verteidigung von Ressourcen (Raum z.B. Unterschreitung der Individualdistanz, Wasser, Futter), die Durchsetzung der eigenen Interessen und viele weitere Faktoren haben nicht immer dieselbe Priorität für das ranghöchste Pferd.

Das haben auch Forscher bei der Beobachtung an Wildpferden feststellen müssen. Die Verhaltensweisen, die da beobachtet werden sollten, waren so subtil, dass sie besonders auf Distanz kaum wahrnehmbar waren und dazu so vielschichtig, dass sie schwer zu erfassen waren. Um dennoch Schlüsse aus den Beobachtungen ziehen zu können, wurde daher meist eine Methode gewählt, die künstlich Stress oder Kampf um Ressourcen auslöste (z.B. die Fütterung begehrter Futtermittel).

Diese künstlich ausgelöste Stresssituation spiegelt aber gerade keine natürlichen Gegebenheiten. Auch ambivalente und vermeidende Kontakte waren schwierig zu klären, weil Pferde sich schlicht aus dem Weg gingen und somit nie klar war, wer denn nun wem weicht. Auch Interaktionen von mehr als zwei Pferden waren schwierig zu deuten und wurden daher konsequent vom Versuchsaufbau ausgeschlossen.

Um es lapidar zusammenzufassen: Diejenigen Verhaltensweisen, die für den Menschen am leichtesten wahrnehmbar sind, wurden besonders hoch gewichtet und mit dem restlichen „wischwaschi“ der Interaktion hat man sich nicht belastet. Statt echter Rangordnung wurde die Aggressionsbereitschaft der Pferde bezüglich Futter in den Vordergrund der Beobachtung gestellt.

Kann man das Verhalten der Wildpferde auf Hauspferde übertragen?

Oft handelt es sich bei den Herden von Wildtieren um Familienstrukturen. Das ist bei Pferden in einem Pensionsstall nicht gegeben, der enge Raum und die Durchmischung der Gruppe und stete Wechsel sorgt für permanenten Stress und ist keine natürliche Situation.

Interessant ist es zu beobachten, dass Wildpferde wesentlich kulanter und enger miteinander interagieren, als Reitpferde dies üblicherweise tun. Das kann aber zum Teil durchaus wieder erlernt werden, wenn in einer Herde bessere Umgangsformen gepflegt werden.

Sportpferde verlernen unter den in Pensionsställen üblichen Haltungsbedingungen oftmals einen guten Umgang miteinander. Der Wert der Herde verliert an Bedeutung, weil sie eben nicht dauerhaft als Schutzmechanismus bleibt. Jedes Pferd muss selbst zusehen, wo es bleibt.

Man kann bei Zuchtstuten, die ihr Leben draußen und in der Herde verbringen oftmals beobachten, wie z.B. langjährige Sportpferde mit mäßigen sozialen Fähigkeiten mit der Zeit wieder lernen, mehr im Sinne der Gruppe zu denken.

Dominanz als Privileg

Dominanz kann als ein Privileg verstanden werden, das nicht ausgenutzt werden darf und keine rigide Mentalität der Unterdrückung nach sich ziehen sollte. Es zeigt also vielmehr Handlungsspielräume innerhalb bestimmter Regeln auf. Im Gegenteil geht man heute davon aus, dass Dominanz nicht über den starken Führer definiert wird, sondern über die Bereitschaft des Tieres mit dem niedrigen Status sich diese Privilegien abnehmen zu lassen und sich unterzuordnen. Das ist aber in der Wildbahn immer ein Tausch von Privilegien, namentlich Ressourcen gegen Sicherheit. Dominanz funktioniert also als Kooperationsvereinbarung.

Die Durchsetzung von Regeln im gegenseitigen Miteinander wird von den Tieren nicht als Unterdrückung oder Einschränkung empfunden, sondern als Schaffen von klaren Regeln.

Wehrhaftes weil „dominantes“ Pferd

Jetzt schlagen wir also wieder die Brücke zum Pferd, das aus Reitersicht unangemessenes Verhalten zeigt. Dies ist keine dominante Verweigerungshaltung. Vielmehr zeigt das Pferd eine Reaktion auf das bisher Erlebte. Oft bestätigt der Mensch unbewusst unerwünschte Verhaltensweisen durch Tadel (= Aufmerksamkeit) oder ist durch Inkonsequenz wenig vorhersehbar. Die Bestrafung von „Aufmüpfigkeit“ in manchen Fällen ist für das Pferd aber nicht nachvollziehbar. Das Verhalten wird unterdrückt, um Strafen zu entgehen.

Das Dominanz Konzept verhindert nach meiner Beobachtung das Losklassen und Genießen der Gemeinschaft zugunsten von Gängelei gegenüber dem Pferd. Das Dominanzkonzept mündet nämlich darin, dass man seinen Status mit Gewalt verteidigen muss. Ohne Vertrauen besteht aber keine Basis für echte partnerschaftliche Zusammenarbeit.

Bei sensiblen Tieren kommt es vor, dass das Tier sich zurückzieht und die Kooperation verweigert oder sich massiv auflehnt. Wehrhaftigkeit aus Selbstschutz wird dann als Dominanz Gebaren missverstanden.

Diese Erkenntnis hat sich in Reiterkreisen allerdings noch nicht gänzlich herumgesprochen. Es ist zu verlockend alle Widersetzlichkeit des Pferdes als Dominanzstreben zu klassifizieren und sich nicht mit der eigenen Wirkung auf das Pferd auseinandersetzen zu müssen.

Was macht der kluge Chef?

Sozial eloquent im Wechsel zwischen Ignoranz und Konsequenz, verhält sich der echte Führer stets souverän, ruhig, selbstbewusst, greift schlichtend ein wenn nötig. Um es zusammenzufassen: Er (oder sie) ist ein lebendes Vorbild, dem man sich zu seinem eigenen Vorteil gerne anschließt.

Die Pferde sehen einen Sinn darin, sich uns anzuschließen, das ist der entscheidende Punkt. Wie kann man also zu einem besseren Pferdemenschen werden, damit das Pferd sich uns gern anschließt? (Siehe auch: Was macht einen guten Pferdemenschen aus?)

Ein Pferd, das sich immer wieder auflehnt, signalisiert damit, dass es uns als nicht zuverlässig genug empfindet. Food for thought.

Was heißt das für die Praxis?

Ebenso wie bei menschlichen Führungskräften gibt es gute und schlechte Führungskräfte. Nicht Jeder ist geeignet, um eine Herde zu führen, schon gar nicht nur deswegen, weil er am durchsetzungsstärksten und damit gnadenlosesten auftritt.

Ausbildungskonzepte, die auf Dominanz oder Führerschaft berufen greifen zu kurz. Eine Ausbildung, die dem Pferd Angst einjagt, ist kritisch zu betrachten. Soziale Interaktion ist viel komplexer, als uns dieses einfache Dominanz Konzept glauben lassen will. Es dient der Vereinfachung und ist darüber hinaus auf eine für Menschen subtile und nicht offenkundige Art unnötig brutal.

Sei dir der Grenzen des Pferdes bewusst!

Die Beziehung zu Pferden muss von Verständnis für deren Sicht der Dinge geprägt sein. Respekt und Gehorsam wünscht sich der Reiter. Aber das ist eine Vermenschlichung der Beziehung zum Pferd.

Es ist nicht einmal erwiesen, dass Pferde die geistigen Fähigkeiten mitbringen, weiter als über die unmittelbare Zweierbeziehung des vor sich befindlichen Pferdes nachzudenken und das Konzept einer Herde und deren Struktur als Ganzes zu begreifen. Das Pferd nimmt vermutlich nur seine eigene Beziehung zu jedem Herdenmitglied wahr. Es weiß also wen es meiden sollte und wer sich als freundschaftlich erwiesen hat. Mehr nicht.

Die Neubildung einer Rangordnung ist zwar von Konflikten und Kämpfen geprägt, die Erhaltung der Herdenstruktur geht jedoch erstaunlich ruhig vor sich. Pferde sind sehr sozial und darauf bedacht, Konflikte zu vermeiden und damit stabile und verlässliche (vorhersehbare) Beziehungen einzugehen. Der Grund hierfür ist ihr Wunsch der Minimierung des Energiebedarfes und der Vermeidung von Verletzungen.

Wo ist der Denkfehler?

Klar ist, dass ein auf Dominanz basierendes Verständnis dafür sorgt, dass es eine blumige Umschreibung für negative Verstärkung genutzt wird. Dem Pferd werden Handlungsoptionen entzogen statt aufgezeigt. Wer das Pferd zu einem Befehlsempfänger degradiert, kann aber nicht ernsthaft von einer vertrauensvollen Partnerschaft ausgehen.

Wer an solchen Konzepten festhält, sieht sich aber oft in der moralisch überlegenen Position, weil nach seinem Verständnis das „natürliche“ Verhalten des Pferdes zur Grundlage seines Tuns erklärt hat. Angeblich pferdetypische Muster zu übernehmen ist zu kurz gedacht. Der Mensch möchte Pferdeverhalten imitieren, verhält sich damit aber wie das rüpeligste Wesen in der Gruppe. Dessen Verhalten löst zwar die größtmögliche Reaktion aus, aber macht ihn nicht zu einem guten Chef.

Fazit

Einer wissenschaftlichen Überprüfung hält die Theorie der Dominanz nicht stand. Das Problem ist, dass Fachwissen grundsätzlich lange Zeit benötigt, um sich in der Praxis rumzusprechen. Neuere Beobachtungen von Forschern an Wildpferden legen ein gänzlich anderes und wesentlich komplexeres Modell nahe, das Dominanzkonzept ist demnach eine grobe Vereinfachung.

Der ein oder andere Pferdefreund mag aufatmen, weil er insgeheim schon immer Belohnungen als besseres Motivationsmittel empfand als Bestrafung. Den Anhängern der Dominanz Ideologie nimmt man damit die bisherige Grundlage der Erziehung weg. Statt einem neuen Trainingskonzept ist nun Einfühlungsvermögen gefragt, also Gefühl statt Methode.

Weiter mit einem ähnlichen Thema: Kommunikation statt Dominanz oder Ihr Pferd hat viel zu sagen – Hören Sie zu?

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4 Gedanken zu „Das Dominanz Konzept – Alter Hut neu erklärt“

  1. Vielen Dank für diese tollen Ausführungen! Mir kamen in letzter Zweifel aus diversen Beobachtungen der Pferde unseres Stalls Zweifel an der (absoluten) Geltung der Dominanzlehre und mich freut, dieses Gefühl bestärkt bekommen zu haben.

    Antworten
  2. Hallo,
    der Artikel spricht mir aus der Seele. Allerdings habe ich derzeit ein Problem, bei dem ich nicht weiß, wie ich es ohne „Dominanz“ lösen soll. Mein Wallach versucht mich bei der Bodenarbeit immer wieder zu zwicken/beißen, selbst wenn ich nur minimale Anforderungen stelle. Was soll ich hier tun ohne ihn bestrafen zu müssen? Ich gebe derzeit keine Leckerli, um dieses Verhalten nicht zu bestärken.
    Viele Grüße,
    Askira

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    • Hallo,
      Ich hatte dieses Verhalten bei meinem Pferd auch eine zeitlang.
      Wir haben viel ausprobiert, weil ihn „strafen“ nichts genützt hat, im Gegenteil, er hat es als Spielaufforderung angesehen und munter weitergemacht.
      Ignorieren und eine zeitlang viel am langen Seil mit genug Abstand ist eine gute Möglichkeit.
      Was absolut megagut geholfen hat, wir haben ihm einen Schnuller ans Halfter gehängt (dünnes Seilchen zum großen Knoten gemacht), immer wenn er beißen wollte, hat er das Teil ins Maul bekommen. Da durfte er ja dann reinbeißen, er hat schnell die Lust dran verloren…innerhalb von 2 Wochen war das Thema erledigt.
      Viele Grüße
      Suse

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