Vollbluteinsatz nach dem Prinzip egal welcher, Hauptsache Blut!

Ganz ehrlich, bei der Aussage: „Es ist egal welcher Vollbluthengst genutzt wird, Hauptsache man hat Blutzufuhr!“ rollen sich mir regelmäßig die Zehnägel hoch. Wie kann man so undifferenziert über den Vollbluteinsatz urteilen? Eine Erläuterung aus Sicht eines Springpferdezüchters mit großer Überzeugung für den Vollblut-Einsatz aber klaren Vorstellungen darüber, was die Zucht voran bringt (und was nicht).

Vollbluteinsatz mit System

Inhalt

Man hört diesen Ruf immer wieder in Warmblutzüchterkreisen. Angeblich geht es beim Einsatz von Vollblut nur um Veredelung, daher ist es gleichgültig, welcher Vollbluthengst eingesetzt wird. Hauptsache man nutzt Blut.

Wer solche Sprüche äußert, ist meist auch zu dem Schluss gekommen, echter Zuchtfortschritt mit Vollblut wäre ohnehin erst in der 2. Generation möglich.

Was lässt sich daraus folgern?

Ein Mangel an Qualität ist beim Halbblüter (also in der F1 Generation) erkannt worden. Statt sich kritisch mit den Gründen für dieses Versagen auseinanderzusetzen werden andere Erklärungen gesucht. Dabei wäre die Überlegung den falschen Vollblüter genutzt zu haben bzw. eine unglückliche Anpaarung vorgenommen zu haben naheliegend. Der logische Schluss: Der Fehler ist im System, statt beim Züchter.

Wie kommt man überhaupt zu solchen Thesen?

Ein Blick in die letztjährigen Top 100 Weltranglisten der Springpferde zeigt, dass selten in den ersten 1-3 Generationen ein Vollblüter zu finden ist. Wenn das xx hinter dem Namen doch auftaucht, so sind diese Vollblüter oft echte No-Names. Es zeigt sich zum einen eine weit gestreute Bandbreite an Hengstnamen. Diese sind zweitens oft nicht ernsthaft als Springvererber von Format in Erscheinung getreten. Soweit die Fakten.

Was macht man daraus?

Nun kann fast jeder Warmblutzüchter ein Lied davon singen, dass Vollblut positive Eigenschaften verankert hat. Erst in Verbindung mit Vollblut kam in seinem Stamm die richtige Einstellung/ Reaktionsschnelligkeit/ Gehlust (und dies soll keine abschließende Aufzählung sein). Alles „weiche Faktoren“, die für den Erfolg eines Springpferdes von hoher Bedeutung sind.

So hat sich der Vollblüter den Ruf eines „Katalysators“ erarbeitet. Der Vollblüter trägt nach dieser Meinung nicht ernsthaft zur Steigerung der Springspezialisierung bei, aber leistungssteigernd ist er irgendwie dennoch. Vollbluteinsatz als notwendiges Übel.

Wenn ein Vollblüter sich tatsächlich neutral vererben würde, dürfte es keinerlei Abweichungen in der Zuchtwertschätzung einzelner Vollblüter in verschiedenen Disziplinen geben. Die gibt es aber in erheblichem Maße!

Ein Vollblüter vermag also sehr wohl Akzente zu setzen!

So wie ein Lauries Crusador xx in Holstein keine top Springprodukte brachte und bekanntermaßen in Hannover als Dressurvererber durchstartete.

Neutral verhält sich ein Vollblüter höchstens dann, wenn über seine Vererbungsqualität nichts bekannt ist. Und das trifft den Punkt beim Vollbluteinsatz leider öfter, als der Zucht lieb sein kann.

Was ist an der These falsch?

In einem Teilaspekt kann ich der These zustimmen: Wer erstmal einen kapitalen Spring-Trecker hat, der sorgt eigentlich mit jedem Vollblüter für mehr Sportlichkeit in der Folgegeneration. Weiterhin ist es logisch, dass je weiter ein Vollblüter im Pedigree nach hinten rutscht, er umso mehr an Einfluss verliert. Ergo wird sein Beitrag zur Leistungsvererbung verringert und der Name des Protagonisten beim Vollbluteinsatz wird zunehmend irrelevant.

Dies gilt allerdings nur, solange man Rückschritte in der F1 als gottgegeben hinnimmt. Im Optimalfall wünscht man sich aber Fortschritt ab der ersten Anpaarung. Alles andere verlängert die Wartezeit auf den Zuchtfortschritt (und verfestigt die These, Vollblüter könnten keine Springpferdemacher sein).

Jetzt mal ketzerisch formuliert: Selbst die größte Halbblut-Graupe lässt sich durch geschickte Anpaarung mit ein bis zwei Generationen ordentlicher Warmbluthengste wieder hinbekommen. Man kann beispielsweise den Rückschritt nach der Anpaarung von Lauries Crusador xx oder Ibisco xx auf einen Springstamm sicher kompensieren.

Aber es kann ja nicht das Ziel sein, Spezialisierung (mehr oder weniger) wissentlich zu vernichten. Dann eine „Zwischenstufe“ gutzuheißen, die dem Zuchtziel zwar überhaupt nicht gerecht wird. Aber man zumindest die Hoffnung nicht aufgeben will, dies in den Folgegenerationen recht bald wieder zu beheben.

Sinnvoller wäre gewesen, man hätte von vornherein mit einem Vollblüter angepaart, der in der Lage ist Springqualität zu erhalten. Denn wozu überhaupt einen Vollbluthengst nutzen, der Springen flächendeckend vernichtet, solange es auch andere gibt?

Was ist zu tun?

Jetzt wird die Problematik deutlich: Es ist leichter rückblickend zu sagen „hier hat der Vollblüter positiv gewirkt“ als Prognosen darüber abzugeben, welche Hengste sich positiv in der Springanlage vererben werden. Denn im Nachgang lassen sich Fehlanpaarungen relativieren, wenn die F2 die „Kurve gekriegt hat“ und sich jetzt positiver darstellt als ursprünglich angenommen.

Aber es bleibt dabei: Sinnvoller wäre es allemal sich vorab wesentlich gründlicher mit der Materie auseinanderzusetzen, um Rückschritte von vorneherein zu vermeiden.

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung

Mit Blick auf den Vollblüter erhält man immer wieder den Eindruck, die Züchterschaft im Warmblutsektor beurteilt sie nicht ganz frei von Vorurteilen. Gelingt die Halbblut-Anpaarung, führt man dies auf den Warmblüter zurück, der entscheidend verbessert hat und scheitert das Experiment, so ist selbstredend der Vollbluthengst Schuld daran.

Weiterhin etablieren sich Mythen um bestimmte Hengste, die nüchtern betrachtet nicht viel Positives bewirkt haben. Ein prominentes Beispiel ist Heraldik xx mit hohen Bedeckungszahlen und daraus laut FN-Daten nur 2% S-erfolgreichen Springnachkommen (und hier beziehe ich mich ausdrücklich auf seine Leistung als Springpferdemacher, ihm grundsätzlich Vererberqualitäten abzusprechen wäre natürlich grober Unfug!). Heraldik hat leider flächendeckend für ein hängendes Vorderbein, kalte Füße und geraden Rücken ohne Bascule am Sprung gesorgt.

Ein Blick auf die Vollschwester von Heraldik zeigt, dass sie höchst erfolgreich in der Dressurpferdezucht eingesetzt wurde. Das kann man in die Bewertung durchaus einfließen lassen.

Im Nachgang postulieren Züchter, dass Vollblüter eben nicht springen können und meidet zukünftig undifferenziert den Vollbluteinsatz. Dabei sind es Negativ-Vererber, die in der Springpferdezucht als „universale Blutspritze“ herhalten, die für ein solches schlechtes Image sorgen. Dagegen haben es andere Hengste sehr wohl geschafft zweistellige Prozentsätze an S-erfolgreichen Nachkommen in der F1 zu erhalten, das ist also kein utopisches Ziel.

Wie kann man es besser machen?

Die eigentliche Frage des Züchters muss doch lauten: Woran fehlt es der Stutengrundlage mit Blick auf Springleistung und kann dies ein Vollblüter verbessern?

Denn ein Vollblüter ist kein universaler Heilsbringer; er wird nicht alles richten können. Ein Pferd bringt eben entweder die körperlichen Voraussetzungen für den Sport mit, oder es tut das nicht. Jede andere Herangehensweise hieße eine gewaltige Ausschussrate billigend in Kauf zu nehmen. In der Hoffnung, dass irgendwann ein kleinwenig Qualität daraus abfällt. Klasse aus der Masse heraus.

Im Idealfall sollte man sich mehr Gedanken um Hintergründe eines Scheiterns von Vollblut in der Springpferdezucht Gedanken machen. Vollbluteinsatz sollte schließlich kein Selbstzweck sein.

Wenn es nicht klappt

Wenn Anpaarungen nicht direkt in der ersten Generation Erfolg bringen, dann hat es nicht gepasst. Anders würde man in der Warmblutzucht auch nicht beurteilen. Das Denken in Generationen bedeutet sich für jede Generation kleine Ziele vorzunehmen. Aber Fortschritt ist zwingend.

Wer diesen Fortschritt nur in der F2 oder zu wenigen Nachkommen findet, muss sich Gedanken machen. Man sollte aber nicht den Heterosiseffekt dafür verantwortlich machen, sondern die falschen Elterntiere.

Die Not ist in der Regel nicht so groß, als dass man „egal welche“ Vollblüter einkreuzen müsste. Damit geht man tatsächlich das Risiko ein sich nachhaltig die Stutenbasis zu versauen.

Fazit

Bevor man ungeahnte Risiken in Kauf nimmt, gibt es Alternativen aus der Warmblutzucht für mehr Spritzigkeit, Kampfgeist und selbst Härte. Bei der heutigen – faktisch nicht vorhandenen – Selektion von Vollbluthengsten für den Springssport wäre es Torheit, unüberlegt zum nächstbesten Vollblüter zu rennen. (siehe auch: Nutzen wir die richtigen Vollbluthengste in der Warmblutzucht?)

Zu behaupten, der gewählte Vollblüter wäre irrelevant, ist in höchstem Maße kurzsichtig. Daher lautet mein Appell an alle Züchter trotz aller Vollblutbegeisterung: Bitte Vollblüter nicht um jeden Preis nutzen!

Weiter mit einem ähnlichen Thema: Wie man den richtigen Vollblüter für die Springpferdezucht findet oder 11 Ursachen für den Rückgang des Vollblüters in Warmblutzucht und Reitsport

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