Jeder Reiter weiß: Ein Pferd, das mit seinem Körper umgehen kann und die richtige Einstellung hat, wird in der Regel auch im Sport überzeugen können. Das, was in der Theorie vom Ideal abweicht, ist nicht immer ausschlaggebend dafür, ob die Leistung stimmt. Da drängt sich die Frage auf, wie wichtig es in Sport und Zucht eigentlich ist, auf ein gutes Exterieur Rücksicht zu nehmen?
Exterieur für den Sport
Inhalt
Dass grobe Exterieur-Fehler und gravierende Fundaments-Schwächen einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Haltbarkeit im Sport haben können, steht komplett außer Frage.
Der Blick auf die Top-Sportler unter den Pferden lässt dann aber doch schnell Zweifel daran aufkommen, ob nach den richtigen Kriterien selektiert wird. Denn wenn diese trotz aller Fehler den Härtetest im Sport bestehen können, stimmt da etwas im System nicht. Sogenannte Mankos im Exterieur stören höchstens das Auge des Betrachters und nicht so sehr die Leistungsaussage.
Es gibt genug Pferde, die trotz gerader Winkelung im Hinterbein dennoch tolle Springpferde sein. Auch der lange, strukturell eigentlich schwache Rücken, ist unbestritten verbreitet bei Pferden mit hervorragendem Springvermögen.
Das Bild zeigt ein Springpferd, nach dessen Genetik sich die meisten ernsthaften Züchter alle Finger lecken würden. Es handelt sich um eine Tochter aus einer Vollschwester zu Baloubet du Rouet. Optisch macht die Stute dagegen wenig her und bietet durchaus Raum für Beanstandungen am Exterieur.
„Form fits function“ oder eher „they win in all shapes“?
In den meisten Fällen ist es so, dass Leistungspferde (egal welcher Reitsportdisziplin) in ihrem Exterieur ihre Spezialisierung auch erkennen lassen. Dies ergibt sich ganz einfach daraus, dass manche Schwächen, einer guten Leistung mehr im Weg stehen, als andere.
So sind Pferde mit schlechtem Halsansatz im Springsport durchaus verbreitet, was jedoch nicht gleichermaßen für die Dressur gilt. Das bedeutet nun nicht im Umkehrschluss, dass Pferde mit schlechtem Hals nur deswegen besser springen könnten, sondern nur, dass ihnen der schlechte Hals im Springsport nicht im Weg ist.
Als Beispiel der tief angesetzte Hals, der die Funktion der Balancestange am Sprung noch optimal erfüllt, aber in der Dressur vermutlich zu Anlehnungsschwierigkeiten und Rittigkeitsproblemen führen würde. Hier gilt es demnach zu erkennen, welche Merkmale die Funktion des Pferdes tatsächlich beeinflussen und nicht nur optisch erstrebenswert scheinen. Form statt Schablone.
Das Trotzdem-Pferd
Alle Sportreiter kennen doch Beispiele, von weich gefesselten, bockhufigen oder verstellten Pferden, die dennoch lange im Sport durchhalten.
Die Bedeutung von hypothetischen Mängeln wie es Exterieur- und Fundamentsprobleme sind, (vergleiche auch „schlechte“ Röntgen-TÜVs) werden in Zeiten des überfüllten Pferdemarktes über strapaziert. Jedes optische Manko wird von Fehlerguckern begierig aufgegriffen, um eine Leistungsminderung vorherzusagen.
Diese Strategie zieht sich durch alle Disziplinen, aber nicht auf jedem Niveau. Denn echte Profis wissen über Formfehler hinwegzusehen. Es braucht schlicht keinen Modellathleten zur Erfüllung hoher sportlicher Ambitionen.
Die Natur weiß schon, was wichtig ist
Bislang musste jeder Zuchtverband, der übertrieben nach Formschönheit strebte, die Erfahrung machen, dass dabei die Sportleistung auf der Strecke bleibt. Das Streben nach Perfektion bezüglich äußerlichen Merkmale in der Zucht steht einer Leistungssteigerung also offensichtlich entgegen. Der Modellathlet setzt sich bei der Selektion auf Leistung nicht durch.
Spätestens der Blick über den Tellerrand zur Zucht des Deutschen Schäferhundes sollte uns lehren, dass der Mensch selten imstande ist, eine höhere Funktionalität zu erreichen. Zumindest nicht, indem er versucht, Errungenschaften der Natur zu verbessern.
Daraus sollte man lernen: Was sich im Sport durchsetzt, kann so verkehrt nicht sein!
Dagegen sind „moderne Typen“ mit ellenlangen Beinen und Schwanenhälsen nicht so funktional, wie man es sich trotz Schönheitsideal gern vormacht.
Funktionalität lautet das Ziel
Für den reinen Sportreiter gilt: Es ist erlaubt, was funktioniert!
Der Züchter von Sportpferden muss dagegen unbedingt weiter denken! Denn ein funktionales Exterieur gilt es in der Zuchtauswahl und Anpaarung nicht ganz außer Acht zu lassen.
Eine Kreuzung von Spitzenpferden unabhängig von Äußerlichkeiten (wie man es beispielsweise dem Vollblut-Rennsport gern unterstellt), ist nicht zielführend. Eine gewisse Haltbarkeit ist für Funktionalität im Sport wichtig.
Überlegungen für die Zucht von Sportpferden
Der Züchter dürfte demnach einen höheren Standard haben. Es sollte vermieden werden, vorhandene Fehler zu potenzieren. Auch wenn es sich bislang (noch) um einen hypothetischen Mangel handelt.
Ausgangspunkt ist hier Funktionalität statt Form. Ein Pferd, das sich sportlich betrachtet kurzfristig über seinen Möglichkeiten darstellt, muss erkannt werden. Denn es nutzt dem Züchter nicht viel, wenn diese Qualität trotz und nicht aufgrund des Exterieurs erreicht wird. Wichtig ist immer, was sich in der Nachzucht erhält.
Nachhaltigkeit in der Vererbung und Verbesserung von einem gewünschten Attribut erwartet man, wenn die genotypischen (genetischen) wie phänotypischen (körperlichen) Voraussetzungen zusammenkommen.
Je eher Form und Funktion zusammenfinden, desto eher wird dieses Merkmal auch vererbt.
Hier gilt es in Generationen zu denken und funktionale Verbesserungen anzustreben. Sonst könnte sich das Zuchtprodukt schnell als gelungenes Endprodukt erweisen.
Mängel müssen als solche erkannt werden. Die rosarote Brille nutzt bei der Beurteilung der eigenen Pferd nichts. Aber es ist elementar, Abweichungen vom Ideal ausdrücklich zuzulassen, sofern sie die Funktion nicht einschränken. Gerade dem Springpferd wird man mit reiner Exterieur-Selektion nicht gerecht.
Selektion nach Exterieur oder Leistungskriterien?
Ob ein Pferd ein Exterieur hat, das als „schön“ angesehen wird, hat viel mit den richtigen Proportionen zu tun. Ein solches Pferd ist geprägt von Symmetrie und Körperharmonie.
Wer sich auf Schwächen bei der Mutterstute konzentriert, sucht nach der perfekten Ergänzung zum perfekt modellierten Sportpferd. Aber man hängt sich leicht an Details auf, die gar nicht entscheidend sind.
Ein Beispiel aus der Praxis
Landgraf hat fürchterliche Sprunggelenke gemacht, aber die Pferde haben gehalten. Und sie waren über alle Maße erfolgreich im Springsport. Landgraf ist ein Jahrhunderthengst! Es wäre kontraproduktiv sich daran aufzuhängen, dass sein Hinterbein unschön modelliert war und dieses „Problem“ in der Nachzucht auftaucht.
Ab einer gewissen Leistungsaussage muss man das Pferd schlicht als „funktional“ akzeptieren. Ein Baloubet du Rouet ist ein gutes Beispiel für einen Hengst mit reichlich Schwächen im Exterieur. Diese haben ihn nicht davon abgehalten, ein Spitzensportler zu werden und ein Vererber von Weltformat obendrein. Das müssen die Schönlinge erst mal nachmachen!
Wenn die Exterieurschwäche nicht wirklich so gravierend ist, dass daraus Leistungseinbußen resultieren, dann sollten sie nicht überbewertet werden. Solange das Springpferd über eine gute Technik, reichlich Vermögen und schnelle Reflexe verfügt, sollte man sich nicht an der geraden Kruppe aufhängen.
Was bringt das Spitzen Exterieur wirklich?
Wer innehält, um ein Spitzenexterieur zu züchten, vergisst darüber meist auch Leistungsaspekte. Typschönere Pferde sind nicht automatisch die besseren Athleten!
Studien an Springpferden suggerieren sogar, dass die Topsportler mit höherer Wahrscheinlichkeit aus einer mäßig bewerteten Stute stammen, als aus einer Top-Schaustute. Was sagt das über den Wert von Schautiteln aus? Es wird in die falsche Richtung selektiert! (siehe auch: Doppelvererber – Auszeichnung oder Makel?)
Fazit
Die kritische Auseinandersetzung mit der Verbesserung des Exterieurs sollte von Leistungsgedanken und Gesundheit allein getragen sein. Das perfekte Modell ist ohne Leistung wertlos, verhindert sie im Falle eines Springpferdes sogar nachweislich.
In der Praxis vermengt sich eine Selektion mit diffusen theoretischen Schönheitsidealen. Ein sportlicher Zuchtfortschritt ergibt sich aber nicht daraus, wenn man versucht, nur von der Optik auf die Funktionalität zu schließen.
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