Keine Lobby für den Vollblüter im Reitsport

Wo immer es bei Veranstaltungen um Vollblüter im Reitsport geht, fallen bekannte Namen wie Brilliant xx und Willi Schultheis, Pernod xx, Chronist xx oder sogar fälschlicherweise Halla (die ja nun unbekannter Abstammung und bestenfalls hoch im Blut stehend war). Gern wird auch noch die Geschichte von Huaso xx erzählt, einem kolumbianischen Vollblüter, der seit 1942 den Hochsprungweltrekord über 2,47m hält. (siehe auch: Der Weltrekord im Hochsprung)

Manchmal fragt man sich da als jüngerer Mensch ohne großen persönlichen Bezug zu diesen Legenden des Reitsports, ob es wohl in den letzten Jahren in Deutschland überhaupt noch Vollblüter im Sport gegeben hat? Jedenfalls scheinen diese Beispiele verdammt lang her zu sein. Kein Wunder, wenn sich keiner an Vollblüter im Reitsport drantraut!

Ursachen für den Mangel an Englischem Vollblut im Reitsport

Inhalt

Warum hat der Vollblüter im Springsport in Deutschland kaum Tradition? Es gibt viele Gründe hierfür, die ich anderswo bereits im Detail erläutert habe. (siehe auch: 11 Ursachen für den Rückgang des Vollblüters in der Warmblutzucht) Allerdings möchte ich hier kurz auf die 3 wichtigsten Gründe eingehen.

Der Reitstil der Deutschen

Schuld am mangelnden Vollblut im Reitsport hat zum Teil der althergebrachte deutsche Reitstil. Dieser ist früher wie heute sehr stark von Kontrolle und Einengung des Pferdes von Hand und Bein geprägt ist. Dagegen hat sich in allen Ländern, wo das Reiten von hoch im Blut stehenden Pferden mehr Tradition hat (allen voran Amerika) ein sehr viel freierer Reitstil entwickelt, der insbesondere bei den Springreitern deutlich vom deutschen Stil zu unterscheiden ist.

Jeder der bereits mit Vollblütern zu tun hatte, wird die Erfahrung gemacht haben, dass es nur so funktioniert. Kompromisse in Bezug auf die deutsche Reitweise sind größtenteils notwendig, um sich mit einem Blüter zu arrangieren.

Wechsel vom Rennsport in den Reitsport

Durch einen Mangel an Experten und Austausch wird es immer unwahrscheinlicher, dass Vollblüter in fördernde Hände gelangen. Es scheint, dass die Bresche zwischen den Lagern immer mehr auseinanderdriftet. Immer weniger Pferdemenschen, die sich in beiden Lagern auskennen und nach neuen Talenten Ausschau halten. Es wechseln zunehmend nicht die besten Pferde in die neue Sparte, sondern eine wenig vorselektierte Gruppe.

Und für mich eines der größten Probleme:

Es gibt kaum Vorbilder

Es ist noch gar nicht so lange her (1960er bis 80er Jahre), dass in den USA der Springsport von Vollblütern dominiert wurde. Man denke an Heroen wie Touch of Class xx oder Gem Twist xx.

Dies trotz extrem weniger züchterischer Bemühungen Vollblüter als reines Reitpferd zu schaffen. Diese Sportler wurden meist von der Bahn aufgekauft und legten im Parcours bereits ihre 2. Karriere hin. Nur wenige unter ihnen entstammen tatsächlich einer auf Springleistung hin selektierten Zucht (Gem Twist xx ist ein Beispiel hierfür). Das Springpferd von Weltklasse war in den USA ein reines Nebenprodukt des Rennsports.

Trotz aller Veränderungen im Rennsports kann nicht alles Potential zum Reitpferd hierdurch vernichtet worden sein. Vielmehr scheint es der Mangel an Wissen, der dafür sorgt, dass diese Pferde nicht mehr in fördernde Hände gelangen.

Zahlen zum Vollblüter im Reitsport

In Deutschland sind die Zahlen der Vollblutzucht deutlich rückläufig, es gibt also immer weniger reine Vollblüter. Nach meinen Erhebungen kommen pro Jahrgang nur etwa 2-5% der geborenen Vollblüter (also 20-30 Pferde) in den Turniersport.

Es wäre daher vermessen von einer hohen Anzahl von Vollblütern im Reitsport zu sprechen. Wobei man natürlich nicht außer Acht lassen darf, dass ein Großteil der erfolgreichen Sportpferde heute einen Blutanteil von 45% im Springsport und 35% in der Dressur hat. In der Vielseitigkeit ist der Blutanteil mit rund 75% noch bedeutend höher. (siehe auch: Der optimale Vollblutanteil beim Sportpferd) Aber dennoch ist der Anteil der reinen Vollblüter im Sport deutlich rückläufig.

Das Erkennen von Vollblütern im Reitsport

Wenn man den Vollblüter im Reitsport analysieren möchte, scheitert man oft schon an grundlegenden Punkten.

Fehlende Vermarktung

Das größte Problem ist jedoch die Erkennung von Vollblütern im Reitsport. Denn im Turniersport sind die Vollblüter ohnehin Exoten. Es weist niemand auf sie hin und vermarktet ihre Erfolge. Es gibt schlicht keine Lobby, die darauf hinweist, dass es auch heute Vollblüter in allen drei Sparten der Reiterei gibt. Zum Teil mit sehr guten Erfolgen.

Um ein paar deutsche Vielseitigkeitsreiter abzubilden, denke man nur an Sleep Late xx/ Ingrid Klimke, The Ghost of Hamish xx/ Peter Thomsen, After the Battle xx/ Julia Krajewski oder Water Dance xx/ Andreas Ostholt.

Vollblüter im Reitsport

Wer weiß denn heute noch, dass Top-Reiter in Springen und Dressur wie Luciana Diniz (Dover xx), Meredith Michaels-Beerbaum (Home James xx) oder Monica Theodorescu (Arak xx) und Charlotte Dujardin (Charlie McGee xx) Vollblüter im Sport geritten sind? Auch Buschreiter Andreas Dibowski hat mit It’s Me xx ein ehemaliges Rennpferd im Stall. Ursula von der Leyen ist ebenfalls mit einem Vollblüter in der Dressur durchgestartet. Um nur mal ein paar bekannte Namen einzuwerfen, denn diese Liste ließe sich beliebig weiterführen.

Datenbanken und Kataloge

Weder Kataloge, der Veranstalter noch Datenbanken der FEI oder FN weisen konsequent auf Vollblüter hin. Oftmals fehlt der Namenszusatz „xx“ und wer die Abstammung des Pferdes nicht kennt, findet keinen Hinweis darauf. Es gibt in vielen Datenbanken weltweit noch immer reine Vollblüter, die als „Großpferd Ausland“ oder „Abstammung unbekannt“ geführt werden.

Auch Turnierveranstalter machen es einem nicht leicht die Blüter auf Veranstaltungen zu erkennen. Selbst bei einem Event wie der Vielseitigkeit in Luhmühlen fehlt im Katalog durchgehend der Namenszusatz, der auf den Vollblüter hinweist. Das hilft nicht bei der Identifizierung von Vollblütern im Leistungssport.

Mein Beitrag

Zu behaupten es gäbe keine Vollblüter im internationalen Springsport mehr, hat bestenfalls mit Unwissenheit zu tun. Tatsächlich gibt es nämlich gerade in den anglophonen Ländern mit einer langen Tradition der Vollblutzucht durchaus noch Springpferde auf internationalem Niveau. Ich habe eine Liste von den Vollblut Legenden des Springsports zusammengestellt von Vollblütern mit FEI Erfolgen.

Fazit

Es gibt sie, aber man sucht sie mit der Lupe: Der Vollblüter im Reitsport. Es sind nicht immer die talentiertesten Pferde, die in den Sport finden, sondern diejenigen, die als solches dargestellt und wahrgenommen werden.

Da sieht man, was gute Lobby Arbeit der Zuchtverbände ausmacht. Denn sie haben sich über Jahrzehnte den Ruf von guten Sportpferden weltweit erkämpft. Wer hochpreisig einkaufen möchte, der wird in Deutschland nicht gezielt nach einem Vollblüter suchen. Im Ausland springt man auf diesen Zug langsam auf. Die USA und Frankreich haben Projekte zur Förderung des Vollblüters im Reitsport. Solche Initiativen fehlen in Deutschland ganz und würde dem Vollblüter den Einstieg in den Turniersport erheblich erleichtern.

Weiter mit einem ähnlichen Thema: Kommen die richtigen Vollbluthengste in die Warmblutzucht? oder Benachteiligung des Blutpferdes im Deckeinsatz

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2 Gedanken zu „Keine Lobby für den Vollblüter im Reitsport“

  1. Ein sehr schöner Bericht. Ich war selbst 10 Jahre Jockey, bin überwiegend Jagtrennen geritten, in dieser Zeit hatte ich hervorragend Springende Vollblüter unterm Sattel. Jetzt Arbeite ich schon über 30 Jahre mit Spring und Dressurpferden bis zur schweren Klasse. Ich kann nur sagen, wer mit feiner vom Sitz unabhängiger Hand Reiten kann hat mit einem begabten Vollblüter ein hervorragendes Sportpferd.

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