Zusammenhänge zwischen Muskelfasertyp und Sportleistung

Die Forderung, Vollblüter oder Springpferde in der Dressurpferdezucht einzusetzen, um mehr Reaktion in die Zucht zu bringen, ist allgegenwärtig. Die Einkreuzung von Springblut sorgt nach einheitlicher Meinung für mehr „Motor“ in der Dressurpferdezucht. Die positive Auswirkung erscheint anerkannt, aber warum können eigentlich gerade Vollblüter und Springpferde eine Population von Dressurpferden beleben? Wo doch ihr Zuchtziel ziemlich unterschiedlich ist.

Nachdem ich mich mit den Muskelfasertypen von Stehern und Sprintern bei Vollblütern auseinandergesetzt hatte, kam mir eine Theorie in den Sinn:

Könnte ein ähnlicher Effekt für die Antriebswirkung des Springpferds auf die Dressurpferdezucht verantwortlich sein?

Mein Forschergeist war geweckt!

Und ich fand schon recht bald Unterstützung für meine Überlegungen. Untersuchungen an Dressur- und Springpferden zeigen, dass tatsächlich Unterschiede in den Muskelfasertypen existieren, die in Abhängigkeit zu ihrer Veranlagung stehen.

Warum das so ist und wie sich diese Unterschiede in der Muskulatur in der Warmblutpopulation auswirken, soll nachfolgend erläutert werden.

Was sind Muskelfasertypen?

Inhalt

Vorab ein bisschen Theorie zum besseren Verständnis. Es gibt grundsätzlich zwei Arten von Muskelfasern: Weiße und rote Muskelfasern. Wobei sich Letztere nochmals in Typ I und Typ II untergliedern.

Die unterschiedliche Färbung liegt daran, wie viel Myoglobin im Muskel vorhanden ist. Je mehr von diesem Muskelprotein vorhanden ist, desto besser funktioniert der Sauerstofftransport und desto roter sind die Muskelfasern. Die roten Muskelfasern ziehen sich langsam zusammen, während die weißen Fasern deutlich schneller kontrahieren. Das Zusammenziehen der Muskulatur löst die Bewegung des Pferdes aus.

Der langsame rote Muskelfasertyp entwickelt nur eine geringe Kraft, ist aber besonders ausdauernd und ermüdet langsam. Ausdauersportler haben einen deutlich höheren Anteil an roten Muskelfasern. Die Energieversorgung für diese Bewegung erfolgt mit Sauerstoff über die Durchblutung.

Die schnelleren weißen Fasern können deutlich mehr Kraft und Vorwärtsimpuls entwickeln. Dafür ermüden sie aber schneller und sind nur über kurze Strecken (Sprint) einsetzbar. Die Frequenz der Kontraktion ist 4 Mal so hoch wie bei den roten Muskelfasern. Die weißen Fasern benötigen dafür allerdings sehr viel mehr Energie, die diesmal anaerob (ohne Sauerstoff) bereitgestellt werden muss. Bei dieser Art der Energiebereitstellung wird im Muskel aus Kohlenhydraten das Stoffwechselprodukt Laktat (Milchsäure) produziert.

Was passiert bei der Belastung des Pferdes?

Wir wollen verstehen, wie die Belastung von Pferden sich auswirkt. Daher ist es interessant, sich einmal zu fragen, wie der Pferdekörper überhaupt auf Belastung reagiert. Das sieht folgendermaßen aus: Bei leichter Belastung ist der Körper in der Lage, einen höheren Sauerstoffbedarf über eine schnellere Atmung und höhere Herzfrequenz auszugleichen. Somit wird über eine erhöhte Sauerstoffzufuhr Energie für die Fortbewegung bereitgestellt.

Bei starker Belastung steigt bereits zu Beginn der Muskelarbeit der Energiebedarf so stark an, dass der Sauerstoffbedarf der Muskulatur nicht über die erhöhte Atemfrequenz kompensiert werden kann. Deswegen laufen der aerobe und anaerobe Stoffwechsel parallel ab. Wenn der Sauerstoffverbrauch nicht mehr durch die Atmung abgedeckt werden kann, geht der Muskel eine Sauerstoffschuld ein. Diese wird erst bei Beendigung der Belastungsphase durch vermehrte Sauerstoffzufuhr wieder ausgeglichen.

Laktat reichert sich unweigerlich im Blut an. Bei einer zu hohen Konzentration wird der Organismus „sauer“ und es kommt zur Ermüdung der Muskulatur. Es kommt zu einem Leistungsabfall. Die Milchsäure wird vom Organismus aber bereits während der Arbeit wieder abgebaut. Die Fähigkeit des Körpers dieses Stoffwechselprodukt abzubauen hat deswegen hohe Auswirkungen auf die Regenerationsfähigkeit des Pferdes.

Veranlagung oder Training?

Das Verhältnis von rotem und weißem Muskelfasertyp innerhalb der Muskulatur variiert genetisch bedingt zwischen Pferderassen. Das Englische Vollblut hat deutlich mehr von den schnellen Fasern als ein Warmblut. Diese unterschiedliche Zusammensetzung der Muskelfasern hat Auswirkungen auf Eigenschaften wie Reaktionsfähigkeit, Schnellkraft und den Energiebedarf für den Muskelstoffwechsel.

Das ist ein erster Hinweis darauf, dass der Muskelfasertyp Auswirkungen auf Fütterung und Training des hoch im Blut stehenden Pferdes haben könnte. (siehe auch: Fütterung des Blutpferdes)

Der Anteil des Muskelfasertyp ist genetisch bedingt und kann durch Training nicht verändert werden. Allerdings kann durch Training die Sauerstofftransportfähigkeit des Blutes um bis zu 60% erhöht werden, was die Leistung insbesondere der roten Muskelfasern unterstützt. Außerdem gibt es intermediäre Muskelfasern, die sich durch Training ausbilden und die Ausdauerleistung stützen.

Deswegen ist es auch für Sportler deutlich einfacher die Ausdauer zu verbessern, als schneller zu laufen. So erklärt sich auch das Sprichwort aus der Rennszene: Einen Flieger muss man Züchten, einen Steher kann man trainieren!

Körperliche Belastung des Pferdes im Reitsport

Wir hatten bereits festgehalten, dass Dressurpferde vorwiegend Muskulatur mit langsamen Fasern benötigen, um ihre Körperspannung über längere Zeiträume zu halten. Springpferde brauchen dagegen einen hohen Anteil an schnellen Muskelfasern, um sich am Absprung und in engen Wendungen kraftvoll vom Boden abdrücken zu können, sowie häufige Richtungswechsel und  Beschleunigung zu bewerkstelligen. Faktoren wie Steigungen oder tiefe Bodenverhältnisse stellen in allen Disziplinen eine zusätzliche Belastung für das Pferd dar.

Eine Methode die Belastung des Pferdes während der Arbeit zu messen, ist die Herzfrequenzmessung. Dies ist eine verlässliche Methode, auch wenn sie nicht für sich allein genommen Aussagen über die Fitness zulässt. Im Ruhezustand hat ein Pferd 30-40 Herzschläge die Minute, unter höchster Beanspruchung können daraus 220-240 Schläge werden. Die tatsächlichen Höchstwerte eines Pferdes schwanken abhängig von Alter, Rasse und Trainingszustand erheblich.

Solche Messergebnisse liefern hochinteressante Einblicke in das Training und die Belastbarkeit von Sportpferden. Daher nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse aus den verschiedenen Disziplinen.

Dressur

Während der Dressur erreicht ein Pferd erstaunlich geringe Belastungswerte. Die Herzfrequenzen während der dressurmäßigen Arbeit von Pferden auf L-Niveau liegen im Mittel bei 99 Schlägen pro Minute. Pferde auf S-Niveau trainieren mit durchschnittlich 109 Schlägen/ min. Nach Gangarten aufgeschlüsselt liegen die durchschnittlichen Herzfrequenzen bei 60-80 Schlägen im Schritt. Im Trab liegen sie zwischen 100-110 und im Galopp um 120 Schläge pro Minute.

Anhand von Herzfrequenz und Laktatwerten konnte bewiesen werden, dass selbst Dressurpferde auf S-Niveau während des täglichen Trainings im aeroben Bereich bleiben. Die maximal gemessenen Belastungsspitzen in der Dressur lagen im Mittel bei 155 Schlägen die Minute, was etwa 65% der Maximalbelastung entspricht.

Das liegt unter anderem daran, dass die körperliche Belastung des Pferdes in deutlichem Zusammenhang mit der erreichten Geschwindigkeit steht. Je höher die Geschwindigkeit des Pferdes, desto höher sind auch die Messwerte hinsichtlich der Herzfrequenz.

Springen

So ist es nicht erstaunlich, dass im Springsport die Werte grundsätzlich höher ausfallen als in der Dressur. Wobei dies abhängig von der Sprunghöhe und dem Trainingszustand des Pferdes ist.

Allerdings ist bei einem A-Parcours bei einem ordentlich hierfür trainierten Pferd die Belastung immer noch nicht besonders hoch. Dagegen erreich ein Springpferd im S-Parcours maximale Herzfrequenzen von im Mittel 190 Schlägen pro Minute. Das sind immerhin gut 80% der maximalen Herzfrequenz.

Das entspricht einer Herzfrequenz, die ein Pferd auf flacher Galoppstrecke mit einem Tempo von 600 Meter/ Min erreicht. Je nach Trainingszustand und Veranlagung kann ein Pferd bei Geschwindigkeiten von 350-700 m/ min Herzfrequenzen zwischen 140-200 Schlägen/ min aufweisen. Die Schwankungsbreite ist also sehr hoch.

Diese Werte zeigen, dass selbst auf hohem sportlichen Niveau die Belastung für das Reitpferd nicht an dessen Belastungsgrenze heranreicht. Der Großteil der Trainingsleistung im Reitsport findet unter aerober Belastung statt.

Merke: Sowohl Dressur als auch Springen auf A-Niveau, ist eine Belastung, die ein Pferd über die Atmung kompensieren kann.

Vielseitigkeit

Die Belastungssituation in der Vielseitigkeit ist dagegen schon im Breitensport deutlich höher. Bereits eine 3 km lange Geländestrecke einer Vielseitigkeit der Klasse A ist für trainierte Pferde eine deutliche körperliche Anstrengung. Die Laktatwerte im Blut und die Herzfrequenz sind nach solch einer Belastung auch bei trainierten Pferden erhöht.

Hohe Anstrengungen mit einer Dauer von über 2 bis 6 Minuten lösen einen anaeroben Zustand beim Pferd aus. Dies hängt auch von der Intensität der Belastung, der Verfügbarkeit von Sauerstoff und der Art der angesprochenen Muskulatur ab.

In einer 4**** Vielseitigkeit erreichen Pferden Herzfrequenzen von 190-230 Schlägen die Minute. Das liegt schon nah an der maximalen Belastbarkeit des Pferdes und immerhin in greifbarer Nähe zu Vergleichswerten aus dem Rennsport.

Wie kommt der Vollblüter ins Spiel?

Ein kleiner Exkurs in die Welt der Rennpferde soll erklären, warum Vollblüter die ultimativen Sportpferde sind.

Das Epsom Derby wurde im Jahr 1908 durch Signorinetta xx in 2 Minuten 39 Sekunden gewonnen. Genau 100 Jahre später wurde es von New Approach xx in 2 Minuten 36 Sekunden gelaufen. Diese Zahlen sollen verdeutlichen, wie ausgeschöpft das Leistungspotential beim Vollblut ist.

Diese historischen Renndaten sollen zeigen, was gut 300 Jahre der Selektion auf Rennleistung beim Vollblut für eine Leistungsdichte hervorgebracht haben. Kein Sieger im Reitsport hätte Jahrzehnte später noch eine Chance mit derselben Leistung ebenso erfolgreich zu sein. Selbst Legenden des Reitsports waren immer auch Produkte ihrer Zeit.

Reitpferde kommen lange nicht an die Belastungssituation heran, die im Rennsport gefordert sind. Das verdeutlicht, warum die Selektion auf Härte im Reitsport nicht annähernd an die Leistungsanforderungen im Rennsport heranreichen. Ein Englischer Vollblüter ist der perfekte Sportler unter den Pferden.

Was das für die Warmblutzucht bedeutet

Die Selektion im Rennsport ist auf eisenharte Leistungssportler mit hohen Geschwindigkeiten ausgerichtet. Damit werden in erster Linie die schnellen Fasern des Muskelfasertyps II angesprochen. Genau diese Muskelgruppen sind beim Vollblüter daher besonders stark ausgeprägt.

Diese Muskeln des schnellen Typs findet man überwiegend in der Hinterhandmuskulatur des Pferdes. In der Vorhand befinden sich mehr langsame Fasern. Die Muskulatur in der Hinterhand steht aber auch für besonders erwünschte Attribute in der Warmblutzucht: Schubkraft, Hankenbiegung und Antritt.

Muskulatur in Bewegung

Kein Wunder also, wenn die matte Hinterhand eines Dressurpferdes durch den Vollbluteinfluss profitiert! Gerade Hinterhandaktivität zieht sich wie ein roter Faden durch die Vollblutpopulation und in der Dressurpferdezucht herrscht ein Mangel.

Fazit

Der Muskelfasertyp führt tatsächlich zu der Erklärung, warum Vollblüter sich trotz des abweichenden Zuchtziels positiv in der Warmblutzucht einbringen. Dies bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf Eigenschaften wie Geschwindigkeit, Regenerationsfähigkeit und Härte. Die schnelleren Muskelfasern des Vollbluts helfen dem Warmblut in Sachen Reflexe (Koordination) und Schnellkraft (Abdruck) zu mehr  Leistungsfähigkeit.

Weiter mit einem ähnlichen Thema: Exterieur und Sportleistung oder Hunter’s Bump

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2 Gedanken zu „Zusammenhänge zwischen Muskelfasertyp und Sportleistung“

    • Ich bin mir nicht sicher, ob ich Deinen Kommentar richtig verstehe. Ein Warmblut ist und bleibt – auch mit hohem Vollblutanteil ein Warmblut. Siehe FRH Butts Abraxxas (99,8% VB), der unter Ingrid Klimke auf Olympiaden Werbung für den Hannoveraner Verband lief.

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