Das Pedigree als Label

Mit der Auflösung der Identität traditionsreicher Zuchtverbände, übernehmen Mode-Namen in dem Pedigree das, wofür früher das Brandzeichen gestanden hat: Ein Label zu Vermarktungszwecken. Immer mehr wird die Abstammung unserer Sportpferde heute kommerzialisiert. Dies unterstützt insbesondere die Vermarktungsfähigkeit von ansonsten vorerst unverkäuflichen Jungpferden und hier besonders den Fohlenmarkt. Für den Erfolg des Modelles Auktion ist dieses Label sogar absolut notwendig. Es schafft eine Erwartungshaltung und damit einen Marktwert, trotz ungewissen sportlichen Werdegangs. Warum das so ist und was das für Folgen haben kann, soll Thema dieses Artikels sein.


Ein Pedigree ist in meinen Augen ein gutes Modell für die frühzeitige Vermarktung von Pferden, aber kein guter Indikator für den tatsächlichen Wert eines Sportpferdes.

Streng genommen schafft es für viele Fohlenkäufer und Aufzüchter sogar ein Modell, das traditionelle Kriterien verdrängt. Es erfolgt eine Reduzierung auf die Abstammung. Der echte Sportler muss nicht mehr im Fohlenalter anhand von Selbstdarstellung und Sportlichkeit beurteilt werden. Darunter leidet langfristig die Fähigkeit vieler Kaufinteressenten Jungpferde unabhängig ihrer Abstammung einzuschätzen.

Fohlenmarkt – Der Handel mit Wahrscheinlichkeiten

Inhalt

Der Pferdemarkt liefert alles was das Herz begehrt – nur auf die sportlichen Leistungen dieser Nachwuchshoffnungen gibt es noch immer keine Garantie. Denn Zucht ist (wie der Reitsport selbst) eine Form der Kunst und keine exakte Wissenschaft. Die Folge davon ist, dass immer weniger Menschen sich auf ihr Beurteilungsvermögen gegenüber dem Individuum verlassen.

Auch der Fachmann mag sich in einem Pferd mal täuschen und ein Fohlen über- oder unterbewerten. Manch unbedeutendes Fohlen wird zu einem Topsportler heranreifen oder eben ein hervorragendes Sportpferd vom Fachmann zum Sportler geformt. Sportleistung immer zu einem großen Anteil von Menschenhand „gemacht“. Ein Mindestmaß an Qualität muss hierfür vorhanden sein, aber wer als Besitzer die nötigen Voraussetzungen schafft, kann auch mittelmäßigen Pferden die Chance geben über sich hinauszuwachsen. Unter jahrelangem Profiberitt kommen einige Pferde zu S-Platzierungen, die unter Freizeitreitern keinen nennenswerten Eindruck hinterlassen hätten.

Wer kann schon sagen, was aus dem Fohlen einmal wird?

Immer weniger Reiter sind „Pferdemenschen“, die in der Lage sind Blender von Sportlern zu unterscheiden.

Selbst Olympia-Reiter mögen einem Reitpferd ihre Qualität ansehen können, bei der Fohlenbeurteilung hört es dann aber beim Großteil der aktiven Reiter auf, selbst wenn sie aus Pferdefamilien stammen. Das ist keine Mutmaßung: Ich habe im persönlichen Gespräch mehrere Olympiakader-Reiter aus Springen und Vielseitigkeit eingestehen hören, dass sie sich die Beurteilung eines Fohlens nicht abschließend zutrauen.

Offene Worte gelassen ausgesprochen. Oder ist bei diesem Klientel einfach mehr Realismus vorhanden, als bei Auktions-Bestückern?

Marktgängigkeit bestimmt die Förderung

Ein Fohlen mit einem Pedigree zu finden, die hohen Ansprüchen gerecht wird, ist heute verhältnismäßig einfach. In Zeiten schlechter Vermarktungslage werden fast alle Kundenwünsche Realität. Wahlweise kann man auf Individualerfolge setzen, ergo beide Elternteile haben Leistungen über 1,60m (Grand Prix Niveau) erbracht. Oder aber auf einen herausragend guten Stamm zurückgreifen z.B. der Holsteiner Stamm 776, ein internationales Aushängeschild für Springpferde.

All diese Maßnahmen garantieren natürlich kein ebenso erfolgreiches Pferd, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Der Handel mit Fohlen und Jungpferden beruht auf nichts anderem als Hoffnung und Erhöhung von Wahrscheinlichkeiten. Wer will schon in ein No-Name Produkt investieren, wenn er auch einen Nachwuchssportler mit den besten elterlichen Voraussetzungen erwerben kann?

Letztlich liegt es wohl in der Hand des Reiters selbst dafür zu sorgen, dass das Fohlen später den Erwartungen gerecht wird. Wolfram Wittig ist ein gutes Beispiel hierfür, der in die Ausbildungsqualitäten der Nachkommen seines Hengstes Breitling W glaubte und bereit war jahrelange Aufbauarbeit zu leisten. Der Erfolg gibt ihm heute Recht. Trotz diverser Exterieurmängel des altmodisch daherkommenden Hengstes, sind seine Nachkommen überdurchschnittlich sporterfolgreich. Womöglich wäre es einem Ausbilder wie Herrn Wittig auch geglückt mit einigen bewussten Anpaarungen solche Leistungen auch mit einem anderen Hengst zu wiederholen. Der Glaube versetzt schließlich die Berge. Ein schönes Portrait des Hengstes und seiner Nachzucht gibt es hier zu sehen.

Der Wert des Stutenstammes

Die Wertschätzung von Stutenstämmen hat lange Tradition. Bereits beim Aufbau der Zucht des Englischen Vollblüters vor über 200 Jahren trennten sich arabische Fürsten stets nur von guten Hengsten und so gut wie nie von Mutterstuten. Bis heute ist ein Züchter mit Blick auf Nachhaltigkeit bemüht, die beste weibliche Nachzucht selbst zu behalten.

Eine interessante Beobachtung in einer Branche, die eine echte Männerdomäne ist und wo Pedigrees standardmäßig nach dem fallenden Mannesstamm übermittelt werden! Wo es heißt ein Fohlen stammt ab von Vater X und aus der Mutter Y, als hätte die Mutter nur für die Aufbewahrung des Fohlens gesorgt und sich nicht selbst genetisch eingebracht.

Diese überraschende Form der Wertschätzung ist in meinen Augen purer Pragmatismus. Wer es schafft, seinen Stutenstamm als etwas Besonderes herauszustellen, kann nun auch die Mutterseite als Vermarktungshilfe gewinnen. Je höher der Bekanntheitsgrad des Stammes, desto größer die Nachfrage und damit der Preis. Neben den prestigeträchtigen Vaterpferden wird nun auch die Mutterseite zum Label gemacht. Genial einfach, einfach genial!

Braucht es wirklich den top Stutenstamm im Pedigree?

Natürlich ist es schlüssig auf Mutterstuten zu setzen, deren nahe Verwandtschaft bereits erfolgreiche Pferde hervorgebracht hat. Aber dann dürfte man zu Vermarktungszwecken auch nur von den Erfolgen der allernächsten Generationen sprechen. Die weite Verzweigung mancher Stämme macht sonst jeden Vergleich müßig. Denn mit jedem Hengst kommen eben auch rund 50% genetisches Material von der Vaterseite hinzu, die sämtliche Betrachtungen verfälschen. Der alte Spruch: „Drei Generationen nichts, ist nichts“ bewahrheitet sich hier.

Nur wie viel höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Mutterstute an die Erfolge ihrer Ahnen anknüpfen kann, wenn ihr Stamm gut ist, wurde nie berechnet. Wer will schon züchterischen Wert nach Statistiken bestimmen? Wo bereits die Anforderungen an ein „gutes Pferd“ so unterschiedlich ausfallen. Denn welcher Maßstab soll dazu angelegt werden? Manche Züchter fordern bereits eine Trennung nach Schausiegen und Sporterfolgen und auch die Körung eines Junghengstes stellt bei den heutigen Anforderungen eher einen Schautitel dar. (siehe auch: Modetrends in der Pferdezucht)

Evolution von Stämmen

Ein guter Stutenstamm kann einen schlechten Hengst vertragen und immer noch ein gutes Produkt liefern, rühmen manche Züchter.

Klar geht das! Aber was will man mit diesem neuen Zweig in der Folge noch erreichen?

Zum weiterzüchten kommen in der Regel zur Steigerung der Vermarktungschancen nur die allerfeinsten Pedigrees in Frage. Ein zweitklassiger Vererber als Vatertier kommt daher nicht in Frage. Für den schnellen Abverkauf mag ein Modehengst taugen, aber wie sieht dann wohl die sportliche Leistung der Nachzucht aus? Und überhaupt; ist es besonders geschickt solche Fohlen auf den Markt zu werfen und sich damit den Ruf des eigenen Stammes zu gefährden?

Der schnelle Abverkauf sollte nicht dazu verleiten Fehlentscheidungen zu treffen.

Kein Züchter der Nachhaltigkeit anstrebt, kann es sich erlauben bewusst mäßige Hengste einzusetzen, nur weil sie dem „Flavour of the Day“ entsprechen. Zweige von guten Stämmen können im Laufe der Zeit auf- und verblühen. Entscheidend hierfür ist das züchterische Geschick, mit dem der Stamm weitergeführt wird. Es reicht eben nicht einen Top-Stamm als Zuchtgrundlage zu wählen, solch ein Stamm muss immerzu auch entsprechend geschickt gepflegt werden.

Leon Melchior (Zangersheide) sagte einmal, dass er aus beinahe jedem Stutenstamm nach nur zwei sorgsam durchdachten Anpaarungen Top-Springpferde ziehen könnte. Dies verdeutlicht, wie viel wichtiger die sorgsame Arbeit eines engagierten Züchters mit dem richtigen Händchen sein dürfte, als der zuvor ausgewählte Stamm. Zumal die Bandbreite an Stutenmaterial auch innerhalb eines sehr guten Stammes erheblichen Schwankungen unterliegt.

Statistische Betrachtungen

Nicht immer können die Nachwuchs-Hoffnungen die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen. Da stellt sich die Frage, ob statistisch betrachtet wirklich diejenigen Pferde mit herausragendem Pedigree die höheren Chancen mitbringen gute Leistungen abzuliefern?

Weil vieles altgediente Wissen im Reitsport und der Zucht nicht kritisch hinterfragt wird, habe ich mir mal die Mühe gemacht auszuwerten, welche Top-50 Springpferde aus Deutschland welchem Stamm entspringen.

Denn wenn man altgediente Züchter so reden hört, kommen alle Spitzensportler immer wieder aus derselben Handvoll von Stutenstämmen. Nur aus solchen Top-Stämmen können auf Dauer die Leistungsdichte und die Anzahl der Spitzenprodukte stimmen. Solche Aussagen wollte ich gern einmal einem belastbaren Zahlenbeweis entgegen stellen.

Auswertung der Top 50 Springpferde nach FN-Jahrbuch

Das Ergebnis: Unter den Top 50 Springpferden aus Deutschland im Jahre 2014 nach Jahresgewinnsumme tauchen nur 2 Pferde aus demselben Stamm auf (Colorit von Coriano und Colore von Contender – Holstein 741). In 2013 sind es ebenfalls nur 2 Pferde, bzw. genauer gesagt haben sie sogar dieselbe Mutter, nämlich Famm von Forrest xx (Let’s Fly von Lordanos & Shutterfly von Silvio I – Hannover Adelna).

Das scheint mir eher eine breite Basis für Topsportler zu sein.

Zufall?

Wie viele mehr Spitzenpferde müsste ich auswerten, um zu weiteren Überlappungen zu kommen?

Ehrlich gesagt erscheint mir dieser erste Eindruck recht eindeutig. Mitnichten kann hier von immer wieder denselben Stämmen die Rede sein! Erst recht, wenn man bedenkt, wie hoch die Absatzchancen und somit Förderungs-Wahrscheinlichkeit ist bei einem Fohlen aus einem erstklassigen Züchterhaus im Vergleich zu einem No-Name Produkt vom Hobby-Züchter.

Meine Schlussfolgerung daraus: Der Sport fächert breiter als so manch ein Züchter sich das eingestehen mag.

So manch ein Top-Springpferd kommt aus eher unwahrscheinlicher Anpaarung oder stammt sogar von echten Negativ-Vererbern ab. Und eigentlich ist das auch logisch. Denn der Sport unterliegt so vielen Unwägbarkeiten, dass man den „Faktor Mensch“ bei der Leistungsbeurteilung einfach nicht ausklammern darf.
Natürlich können manche Stämme eine beeindruckend hohe Leistungsdichte aufweisen. Aber Fakt ist, der Sport lässt auch viele unbedeutende Stämme im Spitzensport zum Zuge kommen.

Wie wichtig ist das Pedigree überhaupt?

Die Kommerzialisierung einer Abstammung ohne Betrachtung der individuellen Qualität kann nicht richtig sein. Nicht zu verleugnen ist dennoch, dass viele gute Pferde auch gut gezogen sind.

Und dennoch: Für jedes top gezogene Pferd im Spitzensport gibt es ein Gegenbeispiel von einem Pferd mit herausragender Abstammung und unterdurchschnittlicher Leistung. Viele ländlich erfolgreiche Sportpferde haben dagegen ein Spitzen-Pedigree und haben es nicht in den großen Sport geschafft (ob aufgrund eines schwachen Reiters oder mangels Vermögen sei dahingestellt siehe gemachte Sportler).

Insbesondere Springleistung ist stark genetisch gefestigt. Daher erhöht eine gute Genetik tatsächlich die Wahrscheinlichkeit ein gutes Sportpferd zu erhalten. Allerdings entspricht der Marktwert eines Hengstes nicht immer seinem Zuchtwert. Gerade bei Junghengsten und Vieldeckern klafft regelmäßig eine Lücke zwischen dem, was der Name verspricht und dem, was an Leistung zu erwarten ist. Von daher darf der klangvolle Name niemals verblenden.
Eine gute Abstammung ist keine Garantie, sondern weckt bestenfalls Hoffnung. Das ist gut für den Abverkauf und damit eine wichtige Überlegung für Züchter die eine Kostendeckung anstreben.

Das exklusivste Pedigree ersetzt jedoch niemals den Blick auf das Pferd.

Natürlich kann hier relativiert werden: Es ist schlicht unmöglich Spitzenpferde immer bereits im Fohlenalter zu identifizieren. Wer sich einmal Fohlenbilder berühmter Sportpferd ansieht, wird auch viele auf den ersten Blick unbedeutende Fohlen zu sehen bekommen. Genau das macht den Reiz der Zucht doch irgendwo aus, weil eben nicht alles planbar ist.

Weiter mit einem ähnlichen Thema: Pedigree-Theorien oder Über die Beurteilung von Fohlen

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2 Gedanken zu „Das Pedigree als Label“

  1. Sehr gut geschrieben, die die ein oder andere Frage beim Leser, zu den typischen allgemein gültigen Aussagen aufwirft.
    Wenn noch etwas deutlicher herausgestellt werden würde, welche Bedeutung Reiter als Zwischenhändler haben, wäre es sehr sehr gut.
    Viele von besagtem Klientel, betätigen sich (wenn auch häufig unbewusst) als „Marktgestalter“. Will heißen, sie fördern sportlich nur das, was sie namentlich kennen. Damit potenziert sich die „angebliche Qualität“ einiger Hengstnachkommen- dies beeinflusst wiederum die Zuchtentscheidung von so manch Züchter. Das hat etwas von „Immobilien- Blase“…
    So ist es zu erklären, das z.B. Diamant de Semilly 2016 an Nachkommengewinnsumme auf Platz 1 stand und im IPV nur auf Platz 25 glaub ich.
    Reiter sind keine Züchter…und doch beeinflussen sie den Markt sehr stark.

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    • Danke für diesen Kommentar! Ich stimme zu, dass Reiter den Markt mit ihrer Kaufentscheidung beeinflussen. Ist das was du beschreibst aber nicht auch sehr menschlich? Es ist ja nicht verwerflich, wenn man versucht das zu nutzen, was bereits zuvor für einen selbst gut geklappt hat. Vorausgesetzt es steht keine PR Strategie dahinter. Die genetische Verengung, die unweigerlich entseht, wenn alle Reiter nur noch Pferde mit Vatertieren aus der Top 10 des WBFSH Rankings kaufen, ist jedoch auch vorhersehbar.

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