Bevor ich über die Jungpferdeausbildung berichte, möchte ich kurz meine Auffassung als Jugendliche darstellen: Dressur reiten diejenigen, die zum Springen zu feige sind! Meine Ambitionen lagen im Parcours, was im Training und auf dem Turnier auf A/L-Niveau gelang. Wen interessiert schon, wo die Pferdenase dabei ist?
Zu mehr als den Kopf krumm zu kriegen, war die Dressurarbeit doch ohnehin nicht gut. Aber dann gelangte ein Reiter von Weltformat in mein Blickfeld, der mein bisheriges Weltbild gründlich auf den Kopf stellte…
Stellenwert der Dressur
Inhalt
Zwischen 1998 und 1999 hatte ich das Glück, Herrn Dr. Reiner Klimke mehrfach live auf dem Turnier, auf Fortbildungsveranstaltungen der Westfälischen Reit- und Fahrschule, sowie auf seiner heimischen Reitanlage in Münster im Training zu erleben.
Der Mann ritt heiße Öfen (ich habe lebhafte Erinnerungen an den Hengst Biotop zurückbehalten), ist – was viele heute nicht mehr wissen – vor seiner Dressur-Karriere hocherfolgreich Vielseitigkeit geritten (was ihn in meinen Augen doch recht wagemutig erscheinen ließ) und…
ritt dennoch Dressur auf höchstem Niveau.
Was für eine Verschwendung! 😉
Seine Worte haben bei mir ein Umdenken bewirkt, mich doch einmal intensiver mit der fremden Materie „Dressur“ und Jungpferdeausbildung auseinander zu setzen. In der Folge hat sein Vorbild mich dazu ermutigt, in der Dressurarbeit mehr als ein Mittel zum Zweck zu sehen.
Die Umstellung
Mein Springpferd muss aus allen Wolken gefallen sein, als ich von einem Tag auf den anderen beschloss, seine Kopfhaltung von Laissez-faire in eine Anlehnung umzuwandeln. Nach intensiven Bemühungen um eine bessere Rittigkeit, stellten sich aber prompt auch Verbesserungen im Parcoursspringen ein.
Mit 16 Jahren gelang es mir mit meinem so umgemodelten Springpferd das Silberne Reitabzeichen der FN in beiden Teilprüfungen Dressur und Springen der Klasse L zu erlangen. Es war in unserem Reitverein absolut üblich für die Prüfung in der schwächeren Disziplin einen Spezialisten auszuleihen. Allein der Stolz gebot es mir niedrigere Wertungen in Kauf zu nehmen und beide Teilprüfungen mit demselben Pferd zu absolvieren.
Warum erzähle ich das?
Ich lege heute viel Wert auf eine dressurmäßige Basis. Mitunter unterstellt man mir sogar frecherweise ich stünde dem Dressur-Sport nahe! 😉
Dies geschieht aus dem Wissen um biomechanische Vorgänge im Pferd und der Gesunderhaltung, mehr als dem Selbstzweck. Meine Passion liegt eindeutig im Springsport und der Zucht. Aber die vielseitige Jungpferdeausbildung, die ein Herr Dr. Reiner Klimke (und heute seine Tochter Ingrid) gelehrt hat, erscheint mir der Natur des Pferdes angemessen.
Wie mir erst deutlich später in meiner reiterlichen Karriere aufging, ist dies kein neues Ausbildungskonzept, sondern vielmehr althergebrachte Tradition. Früher war die Schulung der Remonte im Gelände bis hin zur Teilnahme an Jagden absolut üblich. Als Ausbildungsort kam ohnehin nur das Gelände in Frage. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich die Schulung des Jungpferdes immer mehr in die Sicherheit der geschlossene Reithalle hin verlagert.
Angst vor Kontrollverlust
Die heute viel zu oft anzutreffende Entfremdung von der Natur und Abschottung des Pferdes vor Fremdeinflüssen, sorgt für ein überschaubares Umfeld und damit vermeintliche Sicherheit. (siehe auch: Wettrüsten zu Pferd – Die reiterliche Angst vor Kontrollverlust)
Das ist jedoch ein Trugschluss. Es verursacht nämlich später umso mehr Aufregung, wenn das Pferd nach der Jungpferdeausbildung plötzlich dem Menschen Vertrauen entgegen bringen soll.
Warum auch?
Das Pferd hat ja bislang überhaupt nicht gelernt, neue Erfahrungen mit dem Reiter zu bewältigen. Selbst ein geübter Turnierreiter muss in seinem ganzen Leben keinen Bach durchritten oder Steilhang erklommen haben. Traurig eigentlich.
Das was heute als „Buschtraining“ betitelt wird, war früher einmal ein selbstverständlicher Teil der Jungpferdeausbildung. Unabhängig davon, ob ein Pferd später im Dressurviereck oder Parcours glänzen sollte, war eine solide Grundausbildung für das Jungpferd inklusive Einführung in alle anderen Teildisziplinen üblich.
Sogar auf dem Turnier war nach der Jungpferdeprüfung in der Dressur ein Gehorsamssprung gefordert. Dem steht heute eine zunehmende Spezialisierung von Pferd und Reiter entgegen. Die letzte Klippe Siegerehrung wurde auf Championatsniveau abgeschafft. Es ist üblich geworden, Schreckgespenster einfach aus dem Weg zu räumen, statt sich ihnen zu stellen.
Eine Mentalitätsfrage
Der Ausritt ins Gelände gehört nicht mehr zum selbstverständlichen Stundenplan des Pferdes, wie etwa die allwöchentliche Springstunde. Dies ist sicher vielerorts dem Mangel an Ausreitgelände und dem miesen Wetterbedingungen in Deutschland zuzuschreiben.
Aber es gehört auch einfach nicht mehr zur reiterlichen Mentalität Pferde im Gelände zu schulen. Wer schon einmal in England oder Irland war, der erlebt eine gänzlich andere Einstellung zum Thema Ausritt: Dort sind Geländeausflüge die Würze des Reitsports und keine Zitterpartie! Jeder Reitanfänger steuert das Ziel an im Gelände und womöglich bei Jagden mithalten zu können.
In Deutschland gilt ein Ausritt womöglich in einer größeren Gruppe dagegen schnell als „zu gefährlich“ oder alternativ das teure Sportpferd ist „zu schade“ für solche wilden Unternehmungen.
Zugegeben, ein Ausflug in der Gruppe ins Gelände ist nur für geübte Reiter als Freizeit-VERGNÜGEN geeignet. Aber diese Entfremdung von einer ganz natürlichen Form der Reiterei ist bedauerlich.
Wer sich und seine Kinder schon für Arbeit über Cavalettis mit Sicherheitswesten rüstet, der wird für risikobehaftete Ausflüge ins Gelände nicht viel übrig haben. Geschweige denn, wenn solche Unternehmungen womöglich noch im Galopp stattfinden sollen. Die Mehrheit der deutschen Reiter bringt einem Ausflug ins Gelände und erst Recht der Disziplin Vielseitigkeit oder der Jagdreiterei mangels Berührungspunkten kein Verständnis entgegen.
Vielseitige Jungpferdeausbildung im Gelände
Die grundlegende Angst vor Kontrollverlust manifestiert sich dagegen in deutschen Reithallen. Pferde spulen sich anschließend hoch im Gelände, sind urplötzlich glotzig und ohnehin in der sicheren Reithalle schon kaum zu bändigen.
Die Krux ist: Wer regelmäßig ausreitet, hat in der Regel auch keine Probleme mit hypernervösen Pferden.
Die positive Wirkung auf die Psyche durch Bummeln im Gelände wird unterschätzt. Eine Schrittrunde um den Block zum Lösen gehört für mich ganz selbstverständlich täglich vor die dressurmäßige Arbeit.
Die Konfrontation mit Neuem und die Bewältigung solcher Erlebnisse findet im Regelfall ebenfalls nicht in der Reithalle statt. Dass Reiten im Gelände immer nur so gefährlich ist, wie das Verhalten der beteiligten Reiter es zulässt, wird übersehen. Rücksichtnahme auf schwache Reiter und junge Pferde sollte selbstverständlich sein.
Immer raus mit den jungen Pferden!
Wenn man mit einem jungen Pferd ausreiten möchte und dafür eine Begleitung sucht, muss sich auf Reaktionen der Reiterkollegen von saloppen Ausreden („Leider keine Zeit, geh doch ohne mich!“) bis hin zu direkten Schreckensbekundungen („Bist du verrückt?“) einstellen.
Dabei war von einem gemütlichen Ausflug im Schritt die Rede und nicht von einer wilden Jagd über feste Hindernisse…
Aber wann sollen denn die jungen Pferde Geländeerfahrungen sammeln?
Wer Jungpferde fernab aller Ablenkungen in abgeschotteten Reithallen trainiert, der muss sich anschliessend nicht wundern, wenn dem Pferd bei neuen Sinneseindrücken die Augen übergehen. Das unbändige Pulverfass ist vorprogrammiert, wenn solche Ausflüge nicht direkt zur Selbstverständlichkeit werden.
Dabei entspricht der Ausflug ins Gelände am ehesten der Natur des Pferdes. Als echte Naturburschen auf weiten Wiesen aufgewachsen im Gruppenverband, sucht es auch unter dem Reiter den Anschluss an Führpferde. Der Ritt im kleinen Pulk auf gerader Strecke durch die Landschaft ist für das Jungpferd paradoxerweise die absolut natürlichste Form des Reitens.
Beispiel Rennsport
Im Rennsport wird der natürliche Trieb eines jungen Pferdes sich einer Gruppe in Gangart und Richtung anzuschließen regelmäßig ausgenutzt, um traditionelle Anreite-Formalien zu übergehen. Egal was man davon hält, so junge Pferde anzureiten, das geht in der Regel relativ entspannt von statten.
Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Wenn das Pferd erst einmal in Bewegung ist und der Gruppe folgt, ist das bereits die halbe Miete. Erst später soll es lernen, an jeder Position in der Gruppe und dann auch allein, ungebunden vorwärts zu marschieren. Erst einmal geht es nur um die Duldung des Reiters und ein frisches Geradeaus.
Davon kann man auch für das Reitpferd und die Jungpferdeausbildung lernen. Es ist für ein junges Pferd ohnehin ideal vorwärts und nur in leichter Anlehnung geritten zu werden. Statt sich in der Reithalle zu verstecken und das Pferd stets vorwärts treiben zum müssen, was das Pferd oft klemmig auf Hilfen reagieren lässt, sollte es erst einmal lernen, sich unter dem Reiter frisch nach vorn zu bewegen.
Nirgendwo ist das einfacher umzusetzen, als auf freier Strecke im Gelände. Der natürliche Vorwärtstrieb sorgt dafür, dass das Jungpferd bei leichter Anlehnung in die Hand hinein nach vorn ausgleichen kann. Ein Führpferd lehrt es furchtlos der Gruppe zu folgen und damit fleißig nach vorn zu marschieren.
Gemeinsame Höhenflüge
Das Ausreitgelände gibt vor, was für die Jungpferdeausbildung im Rahmen der Möglichkeiten liegt. Aber auch Ausflüge in fremdes Gelände sollte man nicht scheuen. Die positive Auswirkung auf die Psyche und zunehmende Abgeklärtheit im Umgang mit Neuem sind unersetzbar.
Im Idealfall wird das junge Pferd so auch kontrolliert an Aufgaben wie Wälle erklimmen, Wasser durchqueren und Baumstämme überwinden herangeführt. Grundvoraussetzung ist natürlich, dass der Reiter Vertrauen vermitteln kann und die Gelände-Hindernisse sinnvoll angegangen und gut einsehbar sind. (siehe auch: Wie bewege ich mein Pferd zum Springen?)
Hierzu sollte man wissen, dass wuchtige Naturhindernisse von unerfahrenen Springpferden wesentlich besser taxiert werden können, als bunte Stangen. Die Aufgabenstellung wird dem Pferd klar vermittelt und es wird schnell begreifen, dass es die Füße am Sprung ordentlich wegklappen muss.
Der wichtigste Meilenstein in der Jungpferdeausbildung ist das vertrauensvolle, flüssige Hinziehen zum Sprung, am besten zu Beginn aus dem Trabe hinter einem Führpferd her. Wenn das Pferd genug Selbstsicherheit und Balance entwickelt hat, kann die Aufgabe auch aus dem Galopp angegangen werden. Und schon hat man innerhalb kürzester Zeit ein zuverlässiges Ausreitpferd!
Weiter mit einem ähnlichen Thema: Wie Jungpferdearbeit nicht zur Kinderarbeit wird oder Die Entwicklung des Fohlens durch Ausflüge fördern
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Toller Post, absolut beachtenswert! Man muss sich wirklich mal vor Augen führen, was man eigentlich macht. 😉
Vielen Dank für diesen netten Kommentar!
Oh wie schön! Jemand, der seine Jungpferde draußen reitet und das für selbstverständlich hält. Ich werde immer komisch angeguckt, wenn ich meine Youngster einfach im Gelände anreite. Dabei finde ich das wirklich viel einfacher. Für beide.
Danke für ein wenig Pferdeverstand in einer entfremdeten Pferdewelt. Wer hätte gedacht, ausgerechnet in der Sportpferdeszene solche Gedanken zu finden, mit denen ich mit identifizieren kann. So als „Geländehoppler“ und Draußen-Haltung.
Dieser Blog ist einfach toll und inspirierend. Ich habe vor, im Frühjahr ein Fohlen zu kaufen und werde sicher in den kommenden Jahren fleißig weiter hier lesen. Großes Kompliment, es ist ja (leider) mittlerweile viel Mut erforderlich, die Bedürfnisse der Pferde so ernst zu nehmen!