Beziehung statt Erziehung

Ich habe in meiner Pferdezucht die Erfahrung gemacht, dass es in der Erziehung von Jungpferden weniger darauf ankommt, aktive Erziehung zu betreiben. Viel wichtiger ist es, mit den jungen Pferden eine positive Beziehung zu haben. Dies kann mitunter eine umfangreiche Erziehung für den Moment ersetzen. Wie das geht, erzähle ich in diesem Blogpost.

Fohlen an Herausforderungen heranführen

Inhalt

In einer idealen Welt verbringt man viel Zeit mit den jungen Pferden und kann sie Schritt für Schritt an neue Herausforderungen und Übungen aus dem Pferdealltag heranführen. So habe ich das in meinem eigenen Stall stets praktiziert. Schwierig wird es, wenn die Pferde in Pension stehen und man berufsbedingt soweit eingebunden ist, dass eine intensive Betreuung nur noch im Urlaub gewährleistet ist. Den Rest der Zeit verbringen die Pferde dann zumeist fernab von menschlichen Einflüssen auf der Weide.

Aber das muss nicht der einzige Auslöser sein. Denn große Flächen sind zwar großartig zur Haltung von Zuchtpferden. Meine Pferde verbringen 365 Tage im Jahr auf riesigen Flächen mit freiem Heuzugang und Unterständen in der Größe mancher Reithalle. Darauf lege ich viel Wert. (siehe auch: Hatte Ihr Pferd eine gesunde Aufzucht?)

Einen Nachteil haben diese riesigen Flächen aber für das Handling von Fohlen: So viel Freiheit birgt das Potential zur Entfremdung vor Menschen.

Kontaktaufnahme nur zu unschönen Anlässen

Diese Probleme entstehen erst recht, wenn die Menschen aus Sicht des Fohlens nur ankommen, um unangenehme bis schmerzhafte Maßnahmen umzusetzen. Schmied, Tierarzt, Brennbeauftragter (zum chippen) – alle Manipulationen am Fohlen erfordern eine menschliche Einwirkung.

Was mit einem sehr jungen Fohlen mangels Masse meist leicht noch gegen den Willen des Fohlens vorgenommen werden kann, eskaliert mit zunehmendem Alter zur Geduldsprobe, wenn das Fohlen hierauf nicht adäquat vorbereitet wurde oder sich wehrt. Wie viel Zeit zur Gewöhnung notwendig ist, hängt natürlich auch von dem Charakter des Fohlens und seiner individuellen Prägung (positiv wie negativ) ab.

Soweit die Theorie. Doch in der Praxis stelle ich fest, dass meine positive Einstellung und Ruhe in Verbindung mit einer guten Beziehung zum Fohlen wesentlich tiefer greifen, als noch so viel Getüddel und Gefummel an einem Fohlen, das keinen echten Bezug zum Menschen hat.

Bringt man Fohlen in eine ungewohnte Situation (z.B. ein Transport per Pferdehänger) sind die unterschiedlichen Reaktionen plötzlich deutlich. Manche Fohlen fassen Mut und Vertrauen in die Maßnahmen und andere sträuben sich mit Händen und Füßen.

Geschichten aus dem Leben

Aufgrund meiner Erkrankung von mehreren Wochen in den Sommermonaten, war ich weniger als sonst am Stall und bei meinem Fohlen Dance all Day. In dieser Zeit wurde sie auf die Weide verabschiedet und hatte wenig menschlichen Kontakt.

Kurz darauf gab es zu allem Überfluss in meiner Abwesenheit einen Zwischenfall beim Schmied, wo sie plötzlich stieg, sich überschlug und verletzte. Nach diesem Ereignis war sie sofort auf der Flucht, wenn man irgendetwas außer der Reihe mit ihr machen wollte. Das Misstrauen gegenüber dem Menschen war greifbar. Streicheleinheiten waren kein Problem, aber sobald ihr irgendetwas nicht passte, zog sie schleunigst ab. Das zuvor unglaublich zutrauliche Fohlen war plötzlich sehr skeptisch.

Kein Wunder dachte ich, es wurde ja auch kaum was mit ihr gemacht. Anstatt jetzt jeden Tag mit Halfter und Strick auf die Weide zu düsen und sklavisch Übungen auszuführen (was eh an ihrem Dickkopf gescheitert wäre und aufgrund der Strecke ohnehin kaum durchführbar ist), habe ich mich zu ihr auf die Weide gesetzt und eine echte Verbindung zu ihr aufgebaut.

Es gab dafür kein Programm, sondern nur die Vorstellung im Moment zu sein, Dinge zu tun, die sie mag und nicht auf die Uhr zu schauen, solange ich auf der Weide bin. Einzig die Berührung aller Körperteile hatte ich mir vorgenommen. Ansonsten habe ich sie nicht gebürstet, aufgehalftert oder sonst irgendetwas vom üblichen Fohlen-ABC gemacht.

Alles basierend auf reiner Freiwilligkeit und Freude an der Interaktion. Wenn sie nicht wollte, habe ich sie ignoriert und mich mit der Mutterstute beschäftigt.

Der Tag der Wahrheit

Zum Herbst hin, als das Absetzen auf dem Plan stand, erschrak ich etwas, weil aufgrund der Futtersituation auf der Weide das Umweiden einen Monat früher als in den Vorjahren erfolgte. Ich dachte ich hätte noch Zeit zum Üben. Ohne Vorwarnung musste aber jetzt plötzlich all das auf einmal erfolgen, was die Kleine nie gelernt hatte: Das beinhaltete natürlich Aufhalftern (was sie kannte), aber eben auch Führen und Verladen (was sie nicht kannte).

Um es kurz zu machen; die Kleine marschierte an der Seite ihrer Mutter mit, als habe sie das alles schon 100 Mal gemacht. Das Vertrauen in meine Handlungen war größer, als die Angst vor dem Neuen.

Warum mich das beschäftigt

Solche Momente berühren mich. Denn ich denke, was dem Fohlen mehr als alles andere geholfen hat, ist dass sie eine gute Beziehung zu mir hat. Sie hat sich im Moment der Angst dafür entschieden, zu mir zu finden, als wehrhaft zu sein. Natürlich war ihr ihre Mutter ein gutes Vorbild, denn die stieg absolut mustergültig in den Hänger ein. Aber dass Fohlen im Alter eines Absetzers sich davon nicht drängen lassen, habe ich zu oft erlebt, um an die Zuverlässigkeit dieser Methode zu glauben.

Früher dachte ich, dass meine Fohlen so gut mitmachen liegt daran, dass ich meine Fohlen gut auf solche Momente vorbereite. Oder weil sie alle so kopfklar sind. Aber bei näherer Betrachtung bringen alle Fohlen, die ich bisher aufgezogen habe, im Grundsatz diese Einstellung mit. Was für mich erstaunlich war, ist dass dies offenbar unabhängig davon ist, wie viel Zeit ich mit ihnen und mit Üben verbringe.

Oder noch drastischer: Man braucht viele Dinge überhaupt nicht Üben, wenn die Beziehung gut ist.

Daraus folgt

Daraus schließe ich für den Umgang mit den jungen Pferden: Qualität statt Quantität ist hier entscheidend. Wir haben es selbst in der Hand, welche Erfahrungen unsere Fohlen machen. Das birgt Verantwortung.

Ich möchte betonen: Besser für die Nerven aller Beteiligten ist es, das Fohlen vernünftig auf seine Nutzung als Reitpferd vorzubereiten! Das ist aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht immer gegeben.

Woran liegt das?

Als ich angefangen habe darüber nachzudenken, warum das so sein könnte, musste ich an das Prinzip der gewaltfreien Kommunikation denken.

Ich halte nicht viel von antiautoritärer Erziehung bei Kindern. Gewisse Spielregeln müssen für mich schon aus Sicherheitsgründen mit einem Kind und erst recht mit einem Pferd gelten. Egal wie gut die Beziehung. Mit einem ungleich höheren Kampfgewicht und Konfliktpotential aufgrund der Tatsache, dass es einer fremden Spezies angehört, gilt dies insbesondere für ungestüme Pferdekinder.

Dennoch hat die Idee Charme, dass es nicht immer Zwang im Umgang mit dem Pferd sein muss. Auch nicht bei Dingen, die unbedingt klappen sollen. Oder gerade dann nicht. Sich selbst zu erlauben, hier auch mal andere Wege zu gehen, öffnet viele Türen. (Siehe auch: Was macht einen richtigen Pferdemenschen aus?)

Mein Fazit

Ich weiß, jetzt werden vermutlich Fragen kommen dazu, wie man so eine gute Beziehung zu seinem Fohlen oder Pferd erreichen kann. Und an dieser Stelle werde ich Erwartungen enttäuschen müssen. Es gibt keine Methode, es gibt nur Achtsamkeit und eine gute Beobachtungsgabe. Weil die Methode zweitrangig ist, solange sinnvoll vorgegangen wird. Das sind auch alles leider keine Dinge, die man über Nacht mit einer Technik erzwingen kann, sondern die einen Lernprozess und Begreifen erfordern. Was nichts anderes ist, als eine gute Einstellung dem Pferd gegenüber.

Es geht auch in einem gewissen Maße darum, Erwartungen und Vorstellungen loszulassen und dennoch zielgerichtet zu bleiben. Wenn ich meinem Fohlen in dieser Situation mit Halfter und Drill statt netten Worten aufgelauert hätte, hätte ich viel Vertrauen verspielt. Der Fokus lag darauf, sie wieder offener für den Kontakt zum Menschen zu machen. Das musste von ihr ausgehen. Ich habe darauf vertraut, dass der Rest dann von alleine kommt. Das hat auch wunderbar geklappt.

Das gewählte Beispiel habe ich aus Gründen der Aktualität gewählt (und lange überlegt, ob ich es wirklich teilen soll, weil das sicher kein Beispiel für Best Practice ist). Aber mir fallen noch reichlich andere Gelegenheiten ein, wo meine Pferde Dinge tun, die über das notwendige Maß an Vertrauen hinausgehen. Das macht mich jedes Mal dankbar und ehrfürchtig, weil es eben nicht selbstverständlich ist. Das einfach mal wahrzunehmen, wie kooperativ unsere Pferde üblicherweise sind, hat unschätzbaren Wert für die gemeinsame Beziehung.

Funktioniert das in jeder Situation?

Sicher nicht. Ich rate auch ausdrücklich davon ab, sich komplett auf eine gute Beziehung zu vertrauen. Das sollte dem Ernstfall vorbehalten bleiben. Es ist schön zu wissen, wie viel Sicherheit man einem Pferd allein durch die gute Bindung geben kann. Es erstaunt mich immer wieder, wie kooperativ Pferde sind, wenn man ihnen die Chance dazu lässt.

Weiter mit einem ähnlichen Thema: Hatte Ihr Pferd eine gesunde Aufzucht? oder Was für eine Beziehung habe ich zu meinem Pferd?

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2 Gedanken zu „Beziehung statt Erziehung“

  1. Richtig toller Beitrag!

    Genau das gleiche Problem sehe ich häufig bei Shettys mit denen viel zu oft nichts gemacht wird und der Mensch dann nur für die unangenehmen und schmerzhaften Termine daher kommt.

    Die Aussage: „Man braucht viele Dinge gar nicht üben, wenn die Beziehung gut ist“ kann ich nur unterschreiben! Ich stelle dies gerade bei meinem Jungpferd mehr als deutlich fest. Wir hatten einige Probleme beim anreiten bis ich meine Erwartungen herunter geschraubt habe, den Druck raus nahm und nochmal „von vorne“ begann. Manche Dinge sind plötzlich tatsächlich kein Problem mehr obwohl wir sie spezifisch überhaupt nicht geübt haben.

    Antworten
  2. Es wird weit unterschätzt, wie wichtig das persönliche Verhältnis zum Pferd das Verhalten dem individuellen Menschen gegenüber beeinflusst. Pferde verhalten sich nie dem Menschen „an sich“, dem Reiter „an sich“ gegenüber, sondern immer gegenüber dem Individuum Mensch, der zudem gemessen wird an zuvor gemachten Erfahrungen – basierend auf genetischen und epigenetischen Grundlagen. Zu jedem wird eine gesonderte Beziehung aufgebaut, nicht anders als bei uns.

    Leider wissen wir oft viel zu wenig über die konkreten Bedingungen, unter denen Fohlen ihre ersten Monate verbringen. Dabei ist es unendlich wichtig. Nicht nur die räumlichen Umstände sind entscheidend. Beginnend mit der Embryonalphase entsteht beim Fohlen die Physiologie der Stressachse und das Beruhigungssystem, aus den später die Psychologie des Verhaltens wird und die Hauptmerkmale der Persönlichkeit entstehen. Hat die Mutterstute wiederholt Stress, werden die Regler beim wachsenden Leben im Bauch auf eine höhere Stressempfindlichkeit hin verstellt. Nach der Geburt ist es vor allem die Umgänglichkeit und das Verhalten der Mutterstute dem Menschen gegenüber, die dem Fohlen beibringen, wie das mit dem Menschen so läuft. Dazu gesellen sich zunehmend eigene Erfahrungen, die es macht.

    Kurz: Haben wir eine Mutterstute, die Menschen nicht leiden kann, dann wird auch das Fohlen vorraussichtlich kein enger Freund des Menschen werden. Gehen wir mit der Mutterstute entspannt und freundlich um und ist sie uns gegenüber zugewandt und freundlich, dann haben wir mit großer Wahrscheinlichkeit künftig ein Pferd, das gegen menschliches Handling keine großen Einwände erhebt, sofern es damit keine eigenen negativen Erfahrungen macht.

    Die Mutterstute hat darauf einen überproportional großen Einfluss. Mit Stuten, die wenig mütterlich und dem Menschen gegenüber skeptisch sind sollte man eigentlich nicht züchten.

    Ihr Beitrag ist ein schönes Beispiel dafür.

    Antworten

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