Die Sorge vor dem Hengst Northern Dancer xx im Pedigree eines Sportpferdes ist unter Warmblutzüchtern groß. Das „amerikanische“ Vollblut hat per se einen ganz besonders schlechten Ruf unter Warmblutzüchtern. Dabei ist Northern Dancer xx (ausgerechnet der Kanadier!) scheinbar der Inbegriff des Bösen. Klar ist, man muss ihn meiden – aber warum eigentlich? Ein Erklärungsansatz.
Das zugrunde liegende Problem
Inhalt
Ich glaube, um die Thematik rund um diese spontane Abneigung gegen Northern Dancer xx vollständig zu ergründen, muss man sich erst einmal ganz rational seine Rolle in der Vollblutzucht ansehen und verstehen.
In der Vollblutzucht
Klären wir also erst einmal, warum ein Vollblutzüchter sein Pedigree für die Vollblutzucht „Northern Dancer frei“ halten möchte!
Northern Dancer xx hat unstrittig aufgrund des Erfolges seiner Nachkommen eine große Verbreitung in der Population der Vollblüter erfahren.
Warum gibt es überhaupt so viele Personen, die ihn nicht gehäuft im Pedigree haben möchten?
Das kann sein, weil ein Züchter findet, dass diese Hengstlinie stark genug verbreitet ist. Das ist ein Beweggrund, der eher emotional und wertend klingt. Aber selbst ohne irgend eine Abneigung gegen den Hengst kann ein rein rationaler Grund sein, dass ich sogar als Fan des Hengstes bereits mehrere seiner Töchter/ Enkelinnen im Stall habe. Mir dann als Züchter diesen Hengst nochmal in den Stutenstamm zu holen, wird mich später in meiner Hengstauswahl einschränken. Schlicht, weil bereits viele Pferde in der Vollblutzucht dieses Blut führen. Also suche ich nach Outcross-Möglichkeiten zu diesem Blut, um das vorhersehbare Problem zu vermeiden.
Es gibt also durchaus kluge Gründe dafür, davon abzusehen, bestimmte Linien im eigenen Bestand übermäßig stark vertreten zu haben. Das ist möglicherweise nicht bloß Panikmache oder die Sorge vor negativen Eigenschaften.
In der Warmblutzucht
Das Problem ist aber, Warmblutzüchter schnappen den Ausspruch „Northern Dancer frei“ auf und werten. Nun glauben sie, diesen Leitspruch ebenfalls anwenden zu müssen. Sie haben aber eine komplett andere Stutenbasis ohne die Sorge, eine Inzuchtkomponente meiden zu müssen.
Das ist aber in etwa so, wie wenn ich als Warmblutzüchter entscheide, keinen Nachkommen von Donnerhall oder Carthago zu nutzen. Deswegen sind die Nachkommen dieser Hengste ja nicht automatisch schlechter, sondern vor allem eins: stark frequentiert.
Warum gerade er?
Warum wird ausgerechnet Northern Dancer xx zum Stein des Anstoßes?
Ich glaube hier wirken eine ganze Reihe von (Vor-)Urteilen.
Kleine Größe
Der Hengst hatte laut Hengstbuch gerade mal 1,57m Stockmaß. Aber viele Pferdeleute, die ihn als ausgewachsenes Pferd gesehen haben, gingen davon aus, dass er eher noch kleiner war. Die Realität dürfte vermutlich eher um die 1,55m liegen. Er war dazu gerade im reifen Alter stämmig, überbaut und massig in seiner Statur. Keiner dieser Beobachter hat jedoch seine Eignung als Rennpferd oder gar als Deckhengst in Frage gestellt.
Schlechter Charakter
Northern Dancer xx galt zeitlebens als charakterlich schwierig. Er sollte vor Beginn seiner Rennkarriere sogar schon kastriert werden, aber der Besitzer setzte seinen Willen gegenüber dem Trainer durch.
Amerikanischer Einfluss
Interessanterweise ist der als so „amerikanisch“ geltende Northern Dancer in Kanada geboren und war dort auch im Deckeinsatz. Sein Einfluss über seine 645 Nachkommen ist heute weltweit zu spüren. Tatsächlich ist ein Outcross mit Northern Dancer xx statistisch betrachtet die sichere Erfolgsaussicht. Allerdings gibt es mit Rock of Gibraltar xx, Hernando xx oder Frankel xx auch genügend bedeutende Hengste mit Linienzucht auf ihn.
Gesundheit
Amerikanischen Vollblütern wird gerne ein Mangel an Härte unterstellt. Auch die Sehnenprobleme die Northern Dancer xx an seinem Karriereende hatte, werden ihm von Kritikern vorgehalten. Es darf aber nicht vergessen werden, dass er bereits früh 18 Rennen als 2- und 3-jähriger lief und 29 Jahre alt wurde. Das soll ein anderer erst mal nachmachen.
Hier eine Galerie von Fotos des Hengstes im Alter als Jährling, in Rennkondition und als Deckhengst für einen Einblick.
Nun ist es so, dass das eben skizzierte Pferd (schwierig, klein, massig, kurzbeinig) so ziemlich das Letzte ist, was ein Warmblutzüchter in der Zucht von Sportpferden verwenden möchte. Gesucht wird in der Regel ein Vollbluthengst, der als Veredler dienen kann. Über den Sinn und Unsinn dieser Forderung habe ich andernorts bereits geschrieben. Siehe auch: Wege aus der Krise/ Typenvielfalt in der Vollblutzucht
Generelle Abneigung gegen Sprinter
Bei der Auswahl von Vollblut für die Warmblutzucht disqualifizieren sich viele Vollblutpferde automatisch aus der Perspektive der Warmblutzüchter. Darunter fallen alle Arten von Kurzstreckenpferden. Die Angst vor amerikanischen Sprintern ist allgegenwärtig in der Warmblutzucht. Die Literatur ist voll davon.
Ich höre sogenannte Vollblut-Kenner betonen, wie weit uns die Steher gebracht haben (was für die Vollblutzucht global betrachtet durchaus gilt, aber in meinen Augen nicht so pauschal für die Warmblutzucht bzw. jede Disziplin stehen bleiben kann).
Ich habe den Verdacht, es werden Überzeugungen weitergetragen, die nichts mit der heutigen Realität zu tun haben. Denn es werden hierzu nicht Fakten und Sportdaten zu Rate gezogen, sondern Meinung und historische Kamellen.
Ich kann es sogar dank meiner eigenen Datenbank von tausenden Vollblütern im Reitsport noch deutlicher sagen: Kurzstreckenpferde und deren sportliche Eignung werden in meinen Augen meist gänzlich falsch eingeschätzt.
Das Problem mit der Angst
Woher kommt also die Angst?
Wir schaffen uns unsere eigene Realität durch selektive Wahrnehmung von Informationen und einen Mangel an Daten selbst. Diffuse Angst, die uns davon abhält es überhaupt auszuprobieren, lähmt uns. Erst recht, wenn eine Unsicherheit im Ergebnis hinzukommt.
Die Nutzung von Vollblut wird ohnehin als Risiko behaftet in der Warmblutzucht wahrgenommen. Denn für viele Züchter ist diese Anpaarung ein echter Testballon. In Zeiten wirtschaftlich schwieriger Zeiten, wo Fohlen zu verkaufen ohnehin schon schwer ist, tun sich viele Züchter mit einer solchen Anpaarung umso schwerer.
Meine Meinung
Um es auf den Punkt zu bringen: Ich halte diese Sorge vor Northern Dancer xx Blut für einen Warmblutzüchter für übertrieben. Aus der Perspektive der Vollblutzucht, mag eine solche Entscheidung noch ihre fachliche Berechtigung haben, um mehr Freiheiten bei der Hengstauswahl zu haben. Es ist schlicht eine Entscheidung.
Als fleißiger Besucher von Rennbahnen im In- und Ausland stelle ich mir aber häufig die Frage: Wo sind sie denn, diese gefürchteten amerikanischen Sprintertypen?
Zur Erweiterung meines Fotoarchives bin ich regelmäßig auf der Suche nach Kurzstreckenpferden, die in dieser Hinsicht mein Archiv ergänzen könnten. Selbst bei internationalen Outings mit vielen Teilnehmern aus dem angrenzenden Ausland habe ich bislang kein solches Pferde auf der Rennbahn gesehen.
Hager, schmal, klein – in vielen Formaten – aber ganz sicher nicht im Quarter-Typ. Deswegen behaupte ich: Wir haben diesen Typ Pferd in Deutschland überhaupt nicht. Und damit kann man auch die Angst vor Northern Dancer xx getrost begraben.
Beispiel gefällig?
Damit diese subjektive Meinung nicht gänzlich ohne ein Foto-Beispiel auskommt, habe ich eine Auswahl an Northern Dancer xx Linienzuchten getroffen, die in die Warmblutzucht gewechselt sind.
Sie weisen Linienzucht in 2-3 Fällen- auf Northern Dancer xx auf. Sie sind weder klein noch kurzbeinig in Selbstdarstellung und Vererbung. Es gilt immer das individuelle Pferd zu betrachten und keinen Schreckgespenstern aufzusitzen.
Link zur Abstammung und Fotos der Stute Meloria xx (3x) & Hengst Neatico xx (2x).
Liste der Hengst-Möglichkeiten
Zum Abschluss möchte ich noch eine konstruktive positiv-Liste für alle Züchter aufführen, die -aus welchem Grund auch immer- gerne einen Vollbluthengst nutzen würden, der kein Northern Dancer xx Blut führt. Ich freue mich über Kommentare oder Zuschriften für Ergänzungen!
In Deutschland: Bodyguard of Spain xx, Eden Rock xx, Intendant xx, Foxattac xx, Fragonard xx, Papellito xx, Kubaner xx, Obrigado xx, Ostermond xx Sabiango xx, Tipsy’s Pet xx.
Im Ausland: Cokoriko xx, Handsome Stranger xx, Kendargent xx, Axxos xx
Und ich behalte der Vollständigkeit halber die kastrierten/ verstorbenen dabei (falls TG für die Warmblutzucht oder Söhne vorhanden): Lucio Silla xx, March Groom xx, Mount Etna xx, Albaran xx, Ratibor xx, Saldenblatt xx, Seborga xx, Talkative xx, Gluosnis xx, Noroit xx, Kallatos xx, Kallisto xx
Fazit
Ich denke Deutschlands Warmblutzüchter brauchen sich keine Sorgen um negative Folgen des Northern Dancer xx Blutes zu machen.
Solange sich die Prozesse der Selektion und das Verständnis für bedeutende Linien der Vollblüter nicht grundlegend verbessern, ist es kein Wunder, wenn Züchter sich Sorgen machen, ob sie den falschen Vollblüter auswählen. Denn sie wissen tatsächlich oft erschreckend wenig über deren Abstammung und mögliche Folgen daraus.
Meine Priorität gilt daher ganz klar dem Wissen über Vollblut auf die Sprünge zu helfen. Wieder und wieder Meinungen mit Fakten zu korrigieren und das Verständnis für diese Rasse zu fördern.
Weiter mit einem ähnlichen Thema: Warum es mit dem Vollblut heute nicht mehr läuft (wie früher) oder 11 Ursachen für den Rückgang des Vollblüters in Warmblutzucht und Reitsport
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Liebe Frau Wenzel,
mir gefällt Ihre kritische und unabhängige Herangehensweise an die Thematiken. Ein schöner Kontrast zu Allgemeinplätzen und zu den Gebetsmühlen der Information.
Sehr gut beschrieben….
Wozu sollte ein Warmblut-Sportpferde-Züchter Vollblut einsetzen, wenn es gerne gesehen wird, dass auf der Mutterseite in der zweiten oder dritten Generation VB im Pedigree steht. Daher ist es m.E. viel billiger, sich eine tragende VB Stute auf den VB Auktionen für sehr kleines Geld zu kaufen, um diese dann mit einem WB Hengst – vielleicht mit Lauriesabstammung, Licoto, Asagao und viele andere VB Hengste, die in der Warmblutzucht schon erfolgreiche Nachkommen gebracht haben, anzupaaren. Ohnehin gibt es viel zu viele gute Pferde für einen immer kleiner werdenden Kreis guter Reiter.