Pferd in Bewegung – Die Rolle von Vorhand und Hinterhand

Ich möchte anhand der Bedeutung von Vor- und Hinterhand im Bewegungsablauf des Pferdes erläutern, wie das Exterieur die Bewegung beeinflusst. Die inneren Bilder, die wir dabei von dem Pferd im Kopf haben, geben uns ein besseres Verständnis dafür, wie diese Bewegung durch das Pferd entwickelt wird.

Das große übergeordnete Thema ist „form fits function“, also welches Exterieur braucht es für bestimmte Bewegungsabläufe? Um das oft trockene Thema Exterieur für Reiter besser verständlich zu machen, möchte ich auf die notwendigen physikalischen Voraussetzungen für die Fortbewegung des Pferdes eingehen. Ich möchte mit diesem Artikel außerdem zeigen, wie unsere Vorstellungskraft von einem bestimmten Bewegungsmuster dazu beitragen kann, unser Pferd gesund zu erhalten.

Klassische Definition Vorhand und Hinterhand

Inhalt

Als Vorhand bezeichnen wir das vordere Drittel des Pferdes, also den Kopf, Hals, Schulter und die Vorderbeine. Der Vorhand wird zumeist die Rolle des Steuers der Fortbewegung zugeteilt.

Als Hinterhand bezeichnen wir das hintere Drittel des Pferdes, bestehend aus Kruppe, Hinterbeinen und Schweif. In der Hinterhand entsteht die Kraft für die Vorwärtsbewegung.

Was ist ideal?

Es gibt bestimmte Vorstellungen, bei diesen Körperteilen, die dem Ideal entsprechen. Nachfolgend möchte ich aber zuerst die Funktionalität des Körpers in den Fokus rücken.

Gewünscht ist ein Pferd in guter Balance. Der Reiter verhilft seinem Pferd durch optimales Training dazu. Der Züchter wünscht sich einen Idealtyp in möglichst größer Körperharmonie. Beides ist grundsätzlich erreichbar, aber unterliegt durchaus Schwankungen. (siehe auch: Körperhaltung)

In der klassischen Exterieurlehre ist nur von einer harmonischen Dreiteilung des Pferdes die Rede. Das ist aber denke ich nicht genügend konkret, für eine Beurteilung des Pferdes in Stand oder in der Bewegung.

Manchmal sind gute Ideen so naheliegend, aber niemand sieht sie. Ich denke gerade im Reitsport sind viele Traditionen und Betrachtungsweisen verankert, die Innovationen im Weg stehen. Es scheint unsere Vorstellungskraft zu sprengen, andere Wege zu gehen.

Die Brücke als Modell für den Rücken

Bei der Belastbarkeit des Reitpferdes denken viele Reiter an ein Modell aus einem Knochengerüst mit einer Brücke als Rücken dazwischen. Dieses so oft in Anatomie Büchern verwendete Bild der Brücke lädt dazu ein, sich den Rücken als eine tragende Struktur vorzustellen und zum verbessern der Tragfähigkeit den Fokus auf die Rückenmuskulatur zu legen.

Dabei kann jeder, der schon mal einem Pferd beim wälzen zugeschaut hat, erkennen, dass hier der Rücken gänzlich andere Bewegungen ausführen kann. Da ist nichts Starres. Ich denke, wir dürfen die verbreiteten Ansichten zur Art, wie sich ein Pferd fortbewegt durchaus gedanklich auf den Kopf stellen. Das soll mal einer mit einer Brücke versuchen!

Warum reicht mir die Brücke als gedankliches Modell nicht aus? Das starre Modell finde ich nicht besonders geeignet, um mir Pferde in Bewegung vorzustellen.

Aber das wirft die Frage auf: was sind überhaupt passende mentale Bilder, um sich die Anatomie des Pferdes in Bewegung vorzustellen?

Mentale Bilder

Was sind mentale Bilder? Jeder kann sich unter Phantasie etwas vorstellen, kennt die Bilder im Kopf aus dem täglichen Umgang damit. Aber man kann auch gezielt mit Strategien die Fähigkeit die Vorstellungskraft zu nutzen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Also sich zum Beispiel einen fehlerfreien Ritt durch einen Parcours vorzustellen, bevor man auf den Turnierplatz einreitet.

Tatsächlich ist es so, dass unser Gehirn sich durch bestimmte Methoden austricksen lässt und reagiert auf gute Bilder im Kopf fast genau so, als hätte es eine körperliche Übung tatsächlich ausgeführt. Das heißt, wir können im Kopf unseren Körper tatsächlich trainieren und am Feinschliff für bestimmte Bewegungsmuster arbeiten, ganz ohne dabei Verschleiß am Körper zu erfahren.

Warum die richtigen Bilder im Kopf für den Reitsport so wichtig sind? Ich finde es so wertvoll, die richtigen Bilder im Kopf zu haben von den Abläufen, die dem Reitsport zugrunde liegen. Denn nur so kann man diesen Sport für das Pferd gesund erhaltend ausführen und Abweichungen von der Norm im Bewegungsablauf im Training früh erkennen.

Modell Schubkarre

Ich denke das Modell einer Schubkarre kommt dem tatsächlichen Ablauf im Pferd durchaus nahe. Oder vielmehr dem Kinderspiel Schubkarre, das zwei Kinder gemeinsam spielen.

Kennst Du das? Hierbei greift ein Kind die Knöchel des anderen Kindes, hält dessen Füße hoch und die beiden bewegen sich gemeinsam als Einheit fort. Ein Kind stellt also die Vorderbeine und ein Kind die Hinterbeine des imaginären Pferdes zur Verfügung. Jetzt setzt sich unser Modell in Bewegung. Wenn die Person hinten sehr viel Geschwindigkeit und Schub entwickelt, kann die Vorhand dies nicht mehr stabilisieren und beide Kinder können ins straucheln kommen.

Warum ist das so ähnlich wie bei einem Pferd?

Die vordere Person entspricht in diesem Bild dem Reifen der Schubkarre, der hintere Mensch den Griffen den Schubkarre. Wenn die Reifen stramm aufgepumpt sind und die Gelenke geölt, dann steht einer schwungvollen Fortbewegung nach vorne nichts im Weg. Es können auch Lasten mit der Schubkarre transportiert werden, ohne dass es Probleme gibt, das ist vergleichbar mit einem Reiter auf dem Pferd.

Hat der Reifen einen Platten, sieht es schon ganz anders aus und die Schubkarre kommt nicht so leicht ins Rollen und muss mit schierer Muskelkraft nach vorne gezwungen werden. Die Fortbewegung stockt und ruckelt. Jeder, der schon mal eine platte Schubkarre fortbewegt hat, weiß wie anstrengend das ist.

Mögliche Ursachen für eine solche Hängepartie im Pferd können sowohl Verletzungen der Vorhand, aber auch Kompensationsmuster wie eine Trageerschöpfung sein. (siehe: Trageerschöpfung) Der angespannte Unterhals ist meist ein Zeuge hiervon und wird bei zu viel Belastung übermäßig stark ausgeprägt sein.

Das Pferd hat kein Schlüsselbein, daher ist das Pferd strukturell durchaus ähnlich der Schubkarre aufgebaut. Der Brustkorb hängt zwischen den Schulterblättern nur durch Muskulatur und Bindegewebe in Position gehalten, ohne eine knöcherne Verbindung zu haben. Die aktive Schultergürtelmuskulatur federt die Bewegung ab.

Daher ist die Rolle der Vorhand grundsätzlich die einer Federung und fängt damit Stöße durch Bewegungsenergie ab. Das illustriert die Schubkarre ebenfalls ideal. Natürlich wird auch die Richtung der Bewegung von den Vorderbeinen bestimmt, aber es ist denke ich nicht die wichtigste Aufgabe. Die Hinterhand schiebt und bestimmt die Geschwindigkeit. Es ist der Motor und Antrieb nach vorne.

Wie hilft dieses Bild in der Praxis?

Dieses Bild mit der Schubkarre zeigt aber noch ein anderes Problem auf: Die Vorhand kann nur stützen, wenn die Beine gesund sind und keine Überlastungen zeigen. Das hat auch mit dem Exterieur zu tun. Denn es gibt bestimmte Belastungsachsen, die uns zeigen, welche Strukturen aktuell zu viel Gewicht abfedern müssen.

Defizite in den wichtigsten Achsen früh zu erkennen und zu bemerken, wann das Pferd strukturell in Kompensation geht, ist wichtig, um das Training auf die Leistungsfähigkeit des Pferdes auszurichten.

Wenn es zu viel wird

Reiter achten auf jede kleine Bewegung und Abweichung von der Norm als Zeichen für Probleme bei einem Pferd. Nachfolgend ein kurzer Ausflug zu den Merkmalen, die kennzeichnen, dass etwas schief läuft im Bewegungsablauf.

Vorhand: Ist zu viel Last auf der Vorhand, neigt das Pferd zum Stolpern, wird der Rücken zu stark belastet und das Pferd neigt zu Problemen an den Vorderbeinen.

Hinterhand: Die Hinterhand soll aktiv sein, aber was heißt das eigentlich konkret? Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Hinterhand aktiv nach vorne unter den Schwerpunkt des Pferdes fußt und mindestens in die Hufspur der Vorderbeine tritt. Wenn von hinten kein Schub kommt, bezeichnen wir das Pferd als stockend oder verspannt. Es macht dabei nur kurze Tritte und hält sich fest.

Fazit

Wenn wir akzeptieren, dass das Modell der Schubkarre für die Rolle von Vorhand und Hinterhand sehr passend ist, stellt sich zugleich die Frage: Welche körperlichen Voraussetzungen muss ein Pferd mitbringen, um diese Bewegungen schadlos auszuführen?

Damit es sich gesund bewegt, muss das Pferd Vor- und Hinterhand physiologisch richtig bewegen und im Idealfall einen Körper mitbringen, er ihm das leicht macht. Denn die Funktion, die ein Pferd ausüben soll ist entscheidend dafür, wie es konstruiert sein muss.

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